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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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hinauswerfen ließ.
    Carl kam durch Wohnviertel mit hellerleuchteten Zimmern, doch für ihn schien nirgends ein Licht.
    Er hörte das Tuckern der Bohrtürme hinter den Häusern. Ein Dampfwagen voller Nachtschwärmer drängte ihn von der Straße. Das Pfeifen eines Zuges hallte durch die Nacht. Carl fragte sich, wohin ihn die Straße führen würde, fragte sich auch, ob es ein Ende dieser Straße gab. Er hatte noch immer Schmerzen und mußte gelegentlich würgen. Gegen Mitternacht fand er Zuflucht in einem berauschend duftenden Orangenhain, legte sich dort nieder und schlief sofort ein.
    Staubig und verschwitzt hob Carl einen Arm vor die Augen, um sie vor der gleißenden Sonne zu schützen. Was durch wabernde Hitzeschleier verzerrt und zunächst nur unscharf zu erkennen war, nahm langsam klare Formen an.
    Die Maschine saß auf dem Heck und zwei robusten, überdimensionalen Rädern auf, neben einer roten Scheune mit einem schlaffen Windsack auf dem Dach. Die gelben Flügel des Doppeldeckers waren an mehreren Stellen zusammengeflickt. Der kleine Pilotensitz befand sich direkt vor dem Druckschraubenmotor; vor dem Sitz war ein Instrumentenbrett mit einem Handrad. Carl sah gleich, daß dieses Flugzeug dem Modell glich, das Glenn Curtiss gebaut und geflogen hatte, ja, eigentlich genauso konstruiert schien wie der Golden Flyer, der 1909 bei der Flugschau in Reims überraschend gesiegt hatte. Die frühen Wright-Flugzeuge hatten Kufen gehabt und keine Sitze. Der Pilot lag zur - wie hieß das Wort - Navigation auf dem unteren Flügel auf dem Bauch.
    Auf dem Schild an der Scheune stand:
    FLUGSCHULE RIVERSIDE
    Professioneller Unterricht
    A. R. (Rip) Ryan, Inhaber und Fluglehrer
    In der Scheune wurde gehämmert, das hörte er. Carl trat an die große Tür und drückte dagegen; als er versuchte, sie aufzuschieben, rasselte eine Kette. Um die Ecke fand er eine normale Tür, die offenstand. Als er eintrat, sah er einen Mann auf den Knien, einen Hammer in der Hand. Der Hammer schlug einen Funken und rutschte von einem großen Nagelkopf ab. Der Nagel war L-förmig verbogen.
    Der Mann, dessen Finger so knorrig waren wie alte Wurzeln, fluchte.
    Carl war zu hungrig, um den Zorn des Mannes zu fürchten. Er trat in den Lichtstrahl, der durch einen Spalt in der Scheunenwand ins Innere fiel. »Guten Tag«, sagte er. »Haben Sie vielleicht Arbeit für mich?«
    Rip Ryan aus Riverside war so krumm wie ein Baum auf einem windumtosten Berggipfel. Die Jahre hatten tiefe Furchen in seine gebräunten Wangen gegraben; Sorgen hatten seine Stirn zerfurcht. Obwohl er kaum älter als vierzig sein konnte, hatte er schon schneeweißes Haar. Er legte den Hammer zur Seite und brauchte gut zehn Sekunden, um sich aufzurichten.
    »Möglicherweise«, erwiderte er, nachdem Carl sich vorgestellt hatte. »Auf jeden Fall gibt’s Kaffee. Lassen Sie Ihre Tasche hier stehen, und kommen Sie mit.«
    Carl folgte ihm in ein winziges Holzhaus in der Nähe der Scheune. Sie kamen nur langsam voran, denn der kleine, drahtige Mann schwankte bei jedem zweiten Schritt mächtig zur linken Seite. Die gekrümmten Finger umklammerten den Knauf eines glänzenden Stocks. »Arthritis«, erklärte er, als er Carls fragenden Blick auffing. »Teuflische Sache.«
    Ryan goß aus einer blauen Emailkanne Kaffee ein. Sie saßen sich an einem von Schrammen übersäten Tisch gegenüber. Um ein Gespräch in Gang zu bringen, fragte Carl: »Sind Sie von hier, Mr. Ryan?«
    Ryan schnaubte. »Ha! Sehe ich vielleicht aus wie ein Spanier mit großem Landbesitz? Geboren und aufgewachsen in Brooklyn, New York. Großstadt. Ich hab’s gehaßt! Rauch, Lärm, Enge. Hab’ in einem Mietshaus gewohnt, schlechte Luft, keine Fenster, Nachttopf in der Ecke. Mein Alter fegte Mietställe aus. Ire, ohne Schulbildung. Starb an zuviel Whiskey. Meine selige Mutter folgte ihm zwei Jahre danach. Ich war damals siebzehn.«
    Laut schlürfend trank er aus seiner Blechtasse. Carl sagte nichts mehr; aufmerksame Zuhörer wurden überall geschätzt.
    »Hab’ mir die Handelsschule selbst finanziert«, fuhr Ryan fort. »Ich hatte damals sämtliche Werbebroschüren über Südkalifornien gelesen, die ich kriegen konnte. Herrliche Landschaft. Klarer Himmel. Gesunde Luft. Sowie ich es mir leisten konnte, hab’ ich mir ’ne Fahrkarte gekauft. Und hier hab’ ich zunächst in Redlands gearbeitet. Waren Sie schon mal da?«
    »Nein, nur davon gehört.«
    »Hab’ die Bücher geführt beim größten Futter- und Getreidehändler im

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