Fremde Federn
einfacher zu fliegen als ein Flugzeug von Wright«, versicherte Ryan, als Carl in den kleinen, harten Sitz vor dem Motorblock kletterte. »Nimm das Handrad in beide Hände. So ist’s gut. Wenn du es nach vorne drückst, geht die Maschine runter. Wenn du es hochziehst, geht sie hoch. Um sie links in die Kurve zu legen, drehst du das Handrad nach links und lehnst dich mit in die Kurve. Klar? Auch nicht schwieriger, als eines von Mr. Fords Autos zu lenken.«
Das stimmte nicht ganz, wie Carl bald herausfand. Ryan wollte, daß er ein Gefühl für die Instrumente bekam, und ließ ihn deshalb bei abgeschaltetem Motor im Flugzeug sitzen. Carl legte die Schultergurte an, die mit den kurzen, zwischen den Enden der oberen und unteren Flügel angebrachten Querrudern verbunden waren. Wenn sich der Pilot nach links oder rechts lehnte, bewegten sich die Querruder mittels der Gurte. Carl mußte üben, über die Schulter auf den Motor zu schauen, ohne das Flugzeug durch eine ruckartige Bewegung in eine steil abfallende Schräglage zu bringen.
Aber da er Auto fahren konnte, begriff und lernte er ziemlich schnell. Schon nach wenigen Tagen kurbelte Ryan den Motor an und trat zurück, während Carl über die eine halbe Meile lange Graslandebahn hinter der Scheune rollte. Ryan hatte den Gashebel blockiert, damit das Flugzeug nicht versehentlich abheben konnte. Carl holperte über das Feld, und das Dröhnen des Motors, der Wind in seinem Gesicht, das Flimmern der Sonne auf den Gläsern seiner alten Fahrbrille versetzten ihn in Hochstimmung. Diese Übung des Hin- und Herfahrens nannte Ryan »Grasmähen«. Sie war ein wichtiger Bestandteil der Curtiss-Methode.
Als Ryan mit Carls Fortschritten im Grasmähen zufrieden war, ließ er ihn einen speziellen Übungspropeller anbringen, der es ermöglichte, daß der Eagle mit erhöhter Geschwindigkeit über das Feld rollte und am Ende sechs bis acht Fuß vom Boden abhob. Carls erster Flug erfolgte auf einer Höhe von etwa fünfunddreißig Fuß, und er landete mit einem sanften Plumps wieder auf dem Boden, während ihm das Blut in den Ohren rauschte und er das Gefühl hatte, die Schwerkraft überwunden zu haben. Sein zweiter Flug endete nach fünfzig Fuß, er trug ihn bereits zehn Fuß hoch. Beim dritten Mal beging Carl den Fehler, das Handrad zu weit nach vorne zu drücken, wodurch er im Sturzflug nach unten sauste, glücklicherweise nur aus einer Höhe von vier Fuß, so daß kein Schaden entstand. Ryan hatte aber auch ein robustes Flugzeug gebaut.
An einem Samstag telephonierte Carl vom Telephonamt in Riverside aus nach Los Angeles. Er konnte es kaum erwarten, Fritzi zu erzählen, daß er jetzt vielleicht etwas gefunden hatte, was ihn den Rest seines Lebens ausfüllen könnte. Freilich, vom Autofahren hatte er dasselbe gedacht, und was war daraus geworden! Zwischen Pfeif-und Knattertönen am anderen Ende der Leitung erfuhr er von Mr. Hong, daß Fritzi bereits nach New York abgereist war.
Am Dienstag darauf montierten sie den richtigen Propeller. Als Carl während der rasanten Fahrt über das Feld den Gashebel lockerte, fühlte sich sein Magen so an, wie Ryans Hände aussahen. Dann zog er das Handrad zurück. Er spürte den Auftrieb unter den Flügeln. Sein Haar flatterte im Wind, er hätte laut jauchzen mögen. Der Eagle hob ab.
Carl lehnte sich in seinen Schultergurten nach rechts, arbeitete sich über die Scheune mit dem Windsack hoch, flog über das am Tag zuvor mit weißer Farbe gestrichene Dach. Langsam erklomm er eine Höhe von zweihundert Fuß, und unter ihm bot sich die Welt in sonniger Pracht in einem unglaublichen Panorama aus Orangenhainen und Landstraßen, fahrenden Pferdewagen und arbeitenden Männern dar. Fünfzehn Minuten lang übte er sich in langsamen Kurven, Aufstiegen in die Sonne hinein und gleitenden Abstiegen. Schließlich sah er, daß ihm Ryan etwas signalisierte, indem er die Arme wie Handflaggen gebrauchte. Carl landete leicht wie eine Feder, dann rollte er über das Feld und schaltete sechs Fuß vor seinem Lehrer den Motor aus.
Ryan humpelte zum Flugzeug und lehnte sich an den unteren Flügel. »Du hast den Dreh raus! Du wirst ein guter Pilot.«
Carl streifte die Schultergurte ab und sprang aus seinem harten Sitz. Er und Ryan schauten einander triumphierend und doch mit einer Spur von Trauer an. Ryan sprach es aus:
»Noch ein paar Übungsflüge, dann ist das Vögelchen flügge. Beeil dich mit der Scheune, dichte alles ab und streiche fertig, dann sind wir
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