Fremde Federn
sich an das glänzende, wie neu wirkende Instrument setzte und zu spielen anfing, fielen zuerst die Pedale ab und dann einzeln die Tasten. Schließlich sprang der Deckel auf. Filzhämmer und Saiten schossen heraus, gefolgt von zwei weißen Kaninchen - wie die dort hineingekommen waren, wurde nicht erklärt.
Ein garstiger kleiner Junge zog ein Mädchen am Pferdeschwanz: Daraus entstand im Nu ein Streit unter den Kindern, in den sich auch gleich die Mütter einmischten. Vorhänge wurden heruntergerissen, Bilderrahmen über Köpfe gehauen, Möbel demoliert, Goldfischgläser samt Wasser und Goldfischen flogen durch die Luft - dem Chaos wurde nur dadurch ein Ende bereitet, daß ein junger Hilfssheriff mit dem Klavierverkäufer in Handschellen in der Tür erschien. Natürlich hatte der junge Hilfssheriff eine Schwester, die ein wunderbares Klavier besaß, von dem sie sich zu einem günstigen Preis trennen wollte, sollte Pearl sich bereit erklären, den jungen Hilfssheriff zum Tanz zu begleiten. Pearl blinzelte kokett und setzte sich auf das einzige noch intakte Möbelstück, den Klavierstuhl, der natürlich zusammenbrach. Schlußblende.
Fritzi war nach dem Film niedergeschlagen. Zum Glück ging die Zeit in Los Angeles dem Ende zu und damit auch diese gefährliche Entwicklung in ihrer Karriere. Ende Mai schlossen B. B. und Kelly das Liberty-Gelände bis zum nächsten Winter. Fritzi packte ihre Sachen, um Los Angeles gemeinsam mit den anderen zu verlassen.
Lily beschwor sie wiederzukommen. »Versprich es mir!« Fritzi meinte, sie könne nichts versprechen. Am Bahnhof von Glendale lagen sie sich weinend in den Armen. Lily stand auf dem Bahnsteig und winkte, tapfer bemüht, nicht in Tränen auszubrechen, als sich der Zug in Richtung Osten entfernte.
55. INFERNO
Wieder in New York, mietete Fritzi sich ein Wohn- und Schlafzimmer im kürzlich renovierten Bleecker House. Oh-Oh-Merkle, der Alptraum, war nicht mehr da, dafür aber ein Teil des alten Personals. Neue Besitzer hatten dem Hotel eine neue Reputation verliehen; die Zeiten, in denen Betten stundenweise vermietet wurden, waren vorbei.
Ein junger russischer Einwanderer, Tellerwäscher im Hotel, war begeistert von Fritzis Abenteuern mit dem Einsamen Indianer. Sie hatte inzwischen gelernt, Komplimente dieser Art gelassen, vielleicht sogar mit einer gewissen Freude anzunehmen; sie milderten ihre Enttäuschung über die nicht geglückte Karriere am Theater.
Gleich in der ersten Woche feierte sie ein Wiedersehen mit Hobart in einem Café in der Nähe der Piers des Hudson River. Er schien dort viele Matrosen zu kennen. Den Grund dafür wußte sie ja inzwischen. Hobart stand eine halbjährige Tournee durch den Nordwesten der Vereinigten Staaten und Kanada bevor, auf der er in Die lustigen Weiber von Windsor den Falstaff, in Dreikönigsabend einen entschieden zu alten Malvolio und im Rahmen einer Damenmatinee in Ein Puppenheim Noras widerlichen Ehemann spielen sollte.
»Kannst du dir vorstellen, Ibsen und Shakespeare in einem Ort namens Medecine Hat, Medizinhut, zu spielen?« klagte er. »Aestuat ingens imo in cor de pudor.«
»Du mußt mir helfen, ich habe Latein gehaßt.« Fritzi griff nach einer rohen Auster auf dem Teller zwischen ihnen.
»Das war Vergils Äneas. >Tief im Herzen schwelt grenzenlose Scham.<«
»Und ich glaube manchmal, daß es besser ist, in der Provinz Theater zu spielen als in diesen albernen kleinen Filmen.«
»Ich dachte, du magst deine Arbeit?«
»Ich mag die Menschen. Trotzdem werde ich bald Schluß damit machen.«
Das war leichter gesagt als getan, denn Eddie sorgte dafür, daß sie ständig Arbeit hatte. Das Team machte sich auf den Weg nach Cud-debackville, New York, um in der herrlichen Wildnis der Orange Mountains Außenaufnahmen zu drehen. Owens Nachfolger war für ein paar Wochen in den Osten gekommen, so daß sie zwei Folgen des Einsamen Indianers in den Schluchten und Wäldern des Delaware Water Gap drehen konnten. Man übernachtete in einer einfachen Pension namens Caudebac Inn; die Männer spielten in ihrer Freizeit Karten, die Frauen setzten Puzzles zusammen oder blätterten in Modezeitschriften. Fritzi schrieb Briefe an ihre Mutter, an Julie, an Eustacia in England und an Lily, der sie ehrlich gestehen konnte, daß ihr Kalifornien fehlte, vor allem die erfrischende Luft, die so anders war als die sommerliche Schwüle im Osten.
Als die Truppe in die Stadt zurückkehrte, besann sich Fritzi auf ihre alte Gewohnheit, in der Stadt
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