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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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nicht ohne die Ermahnung, den verstauchten Knöchel mindestens noch zwei Wochen zu schonen. Er bestand darauf, ihren Knöchel mit einer elastischen Binde zu stützen, und riet ihr zu einem Stock, den ihre Eitelkeit jedoch nicht zuließ. Sie humpelte in ihre Zwei-ZimmerSuite im Bleecker House, ließ sich im Licht der sommerlichen Dämmerung auf einen Sessel fallen und starrte auf ihre Hände, unschlüssig und verwirrt; sicher war sie sich nur eines Gefühls, des brennenden Wunsches, Paul wiederzusehen, dessen Schiff nächste Woche einlaufen sollte.
    Paul brachte einen Berg von Schnappschüssen: von Julie, den beiden älteren Kindern, der kleinen, rundgesichtigen Lottie in ihrem hübschen Kleidchen, die, eine winzige Hand auf einem Samtsockel, mit starrem, glasigem Blick in die Kamera schaute. »Der Photograph hat ihren Kopf in einen Schraubstock eingespannt, damit sie aufrecht steht«, gestand Paul lachend. »Sind das nicht mittelalterliche Foltermethoden? Gleich nachdem er mit der Aufnahme fertig war, fing Lottie an zu brüllen, und das war’s dann. Sie ist ein süßes Kind, aber ziemlich eigenwillig.«
    Die Photos lagen ausgebreitet auf dem gestärkten weißen Tuch ihres Tisches auf dem Achterdeck des Ausflugsdampfers. Er lag an der West Houston Street und sollte um sieben Uhr zu einer Hafenrundfahrt auslaufen. Auch Harry wurde erwartet, aber er war noch nicht eingetroffen.
    Die Tische unter den gestreiften Markisen füllten sich rasch. Kellner mit langen weißen Schürzen manövrierten sich zwischen den Gästen hindurch, um Champagner und Wein nachzuschenken. Im Westen spannte sich ein heißer, orangefarbener Himmel; New York wurde von einer Hitzewelle heimgesucht. Fritzis bandagierter Knöchel juckte erbarmungslos. Mit der Spitze ihres anderes Schuhs kratzte sie ihn unterm Tisch, während Paul ihr das Photo eines dunkelhaarigen jungen Mannes mit spitzbübischem Grinsen zeigte.
    »Sammy Silverstone, meine rechte Hand. Ein Juwel. Warum ich mich so lange geweigert habe, mir einen Assistenten zu nehmen, werde ich nie verstehen. Sammy ist der Retter meines Rückens, und außerdem hab’ ich ihn gern um mich.«
    »Aber du hast ihn nicht mitgebracht.«
    Kopfschüttelnd fächelte sich Paul mit seinem Strohhut Kühlung zu; die Kopfbedeckung sah neu aus, aber der Rand war an einer Stelle zerfetzt, als hätte sich ein Hund darüber hergemacht. »Ich hätte die Ausgaben dafür nicht vertreten können, schließlich arbeite ich auf dieser Reise nur teilweise für Lord Yorke.« Er sprang auf. »Laß uns ein bißchen herumgehen, es ist so stickig hier.«
    Er steckte die Photos in die Tasche seines beigefarbenen, sommerlichen Leinenjacketts zurück, das von der Hitze und dem Schmutz Manhattans fürchterlich mitgenommen aussah. Auf dem runden Kragen seines Hemdes leuchtete ein Tintenfleck, der Fleck auf seiner gestreiften Krawatte sah verdächtig nach Ketchup aus.
    Sie schlenderten zur hinteren Reling, wo die Flagge der Schifffahrtslinie schlaff am Mast hing. Südlich des Hafens hob sich die große Fackel in der Hand der Freiheitsstatue hell vom dunkler werdenden Himmel ab. Das Wasser schien von einer grünen Patina überzogen, es erinnerte an dunkle Jade, gesprenkelt vom roten Licht des westlichen Himmels.
    Fritzi faltete die Hände und lehnte sich an die Reling. »Es gibt da etwas, was ich dir nicht erzählt habe.«
    »Du meinst Kalifornien - ob du gehst oder hierbleibst?«
    »Nein. Mir ist etwas Furchtbares passiert, als ich mit Harry zusammen war.«
    »Er hat nichts davon gesagt.«
    So kurz wie möglich erzählte sie von dem schrecklichen Erlebnis an der Haltestelle City Hall. »Ich habe ihn getötet, Paul. Ich habe einen Menschen getötet. Ich weiß, daß mich der Anblick ewig verfolgen wird. Es fällt mir schwer, darüber zu sprechen.«
    Sie fing an, heftig zu zittern. Er legte den Arm um sie. »Ich verstehe dich. Ich habe Männer sterben sehen. Ganz gleich, wer sie sind, das Sterben hat immer etwas Elementares und Geheimnisvolles an sich.« Er hielt sie fest, bis das Zittern nachließ.
    Jemand winkte ihnen vom Pier aus zu. »Harry«, rief Paul, als der Komponist den Landungssteg heraufgelaufen kam. Harry umarmte Paul, Fritzi küßte er die Hand. Er wirkte blaß und müde, was ganz untypisch für ihn war. Lange Proben, vermutete sie; der Erfolg forderte seinen Preis.
    Im Gegensatz zu ihrem Cousin war Harry tadellos gekleidet. Sein Anzug aus hellgrauem Leinen war einreihig, mit modisch aufgesetzten Taschen. Die blauweiß

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