Fremde Federn
einem trüben Nachmittag. Ein kurzer Blick genügte, um festzustellen, daß das Bijou Dream besser war als die anderen Filmtheater, die sie wegen der Filme ihres Vetters aufgesucht hatten. Die Fenster des ehemaligen Ladens waren mit grünen Samtvorhängen verkleidet. Der Projektor stand in einer durch einen Vorhang abgetrennten Kabine im hinteren Teil eines langen rechteckigen Raumes. Den Filmvorführer kannte Fritzi nicht; der junge Mann aus der Theatertruppe war heute nicht im Dienst. Dafür dankte sie dem Himmel. Nie hatte sie einen Hehl aus ihrer Abneigung gegen die bewegten Bilder gemacht.
Anstelle von Holzbänken gab es hier Stühle, mindestens einhundert, und dabei handelte es sich nicht um eine wahllose Ansammlung aus Eisdielen und Gebrauchtwarenläden, vielmehr waren alle gleich. Das Bijou Dream beschäftigte einen Pianisten, der kerzengerade neben der Leinwand saß, und einen Sprecher in mitternachtsblauem Smoking, der die Ereignisse von einem Pult auf der gegenüberliegenden Seite aus ankündigte und erklärte. Die bewegten Bilder, die in den Fünf-Cent-Theatern gezeigt wurden, waren in der Regel ohne Text. Viele hatten nicht einmal einen Titel.
Etwa zwanzig Personen besuchten die Vorstellung um zwei Uhr fünfzehn. Fritzi und ihre Mutter waren mit Abstand am besten angezogen. Einige Zuschauer rochen nach Knoblauch, Wein oder mangelnder Körperpflege. Nicht aus Überheblichkeit, sondern einfach als Feststellung bemerkte Fritzi, daß sich diese Bilder hauptsächlich an ein Publikum neu angekommener und noch nicht eingegliederter Einwanderer richteten. Der Erfolg der laufenden Bilder beruhte auf der allen verständlichen Sprache der Pantomime und auf ihrer Verfügbarkeit. Slumbewohner erreichten ihr Filmtheater nicht selten zu Fuß und sparten Fahrgeld.
Ein durch ein Seil gesonderter Bereich vorne war Kindern vorbehalten. Ein halbes Dutzend lärmender Jungen in geflickten Knickerbockern und Stoffmützen lachten und pufften einander, Ilsa flüsterte: »Ob die die Schule schwänzen?«
»Oder geschickte Drückeberger«, gab Fritzi zurück. Sie und Ilsa folgten einer auf der Leinwand aufscheinenden Aufforderung an die Damen im Publikum, die Hüte abzunehmen. Die abgebildete Dame trug ein breitkrempiges Modell, das mit so viel Obst und Federvieh verziert war, daß man damit eine ganze Football-Mannschaft hätte füttern können.
Der Pianist verließ seinen Platz am Klavier, um zwei Jungen zu trennen, die im Gang miteinander rauften. Als sie schließlich wieder auf ihren Stühlen saßen, schaltete der Vorführer die von Blechschirmen geschützten Deckenlichter aus. Auf der Leinwand erschien ein neues Bild:
Der neueste Hit
Von
T. B. HARMS!
Text und Musik
Von
HARRY POLAND
Präsentiert
Von
FLAVIA FARREL,
The Irish Songbird
»Oh, das ist Paulis Freund«, sagte Ilsa und meinte den Komponisten.
Zwei Gesichter in ovalen Rahmen erschienen zu beiden Seiten des Lichtbildes. The Irish Songbird, der irische Singvogel, war eine Frau mit Tränensäcken, die in der Jugend sicher hübsch gewesen war, bevor die Spannkraft von Haut und Muskeln nachgelassen hatte. Der Mann in dem anderen Rahmen war Harry Poland. Er hatte 1891 zusammen mit Paul auf einem Schiff den Atlantik überquert. Als polnischer Einwanderer hatte er sich einen neuen Namen zugelegt, der inzwischen in der Welt der Musik einen guten Klang hatte, denn er hatte bereits mehrere populäre Lieder geschrieben. Harry war ein junger Mann mit länglichem Kopf, breitem Lächeln und lebhaften Augen. Auf dem Bild nahm er gerade den sommerlichen Strohhut von seinem dunklen Lockenkopf. Diese Pose erinnerte Fritzi an einen Schnappschuß von Paul. Paul hatte ein heiteres Gemüt, und der Komponist machte den gleichen Eindruck. Vielleicht war dies der Grund, warum die beiden Freundschaft geschlossen hatten und warum sie sich jedesmal, wenn es ihre Zeit erlaubte, in New York trafen.
Jetzt erschien auf der Leinwand das erste zum Lied gehörende Bild. Zu sehen waren ein Mann mit Schutzbrille und eine junge Frau mit einem großen Hut und Schleier, die in einem Auto saßen. Der Text des Liedes erschien auf der langen Motorhaube des Autos. Der Pianist spielte die ins Ohr gehende Melodie.
THAT AUTO-MO-BILING FEELING
IS STEAL-ING O-VER ME
Nächstes Bild: Ausgestopfte Tauben, die über dem Paar standen, das sich umarmte. Die Jungen im vorderen Teil kreischten und ahmten furzende Geräusche nach.
IT’S AN AP-PEAL-ING FEEL-ING,
RO-MAN-TIC AS CAN BE
»Verpiß dich!«
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