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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Schnee«, bestätigte Reeves mit einem Nicken.
    »Vierundfünfzig und drei Zehntel Meilen. Die Duryea-Brüder haben mit ihrer Nummer Fünf in zehn Stunden und dreiundzwanzig Minuten gewonnen. Frank Duryea hat das Auto gefahren, das man damals noch Motorwagen nannte.«
    Seit jenem frühen Wintertag, als die Blicke des staunenden kleinen Carl den pferdelosen Wagen gefolgt waren, die über die Michigan Avenue schlitterten, trug er eine unstillbare Liebe zu Autos mit sich herum. In New York City hatte er unzählige gesehen. Für ihn spielte es keine Rolle, ob sie mit dampfenden Kühlern dastanden, mit surrenden Batterien oder knatternden Benzinmotoren. Er fand sie alle aufregend. Es waren Maschinen, und er liebte Maschinen. Autos waren längst kein Gegenstand des Gelächters mehr wie zu Anfang; inzwischen waren sie Symbole für Macht und Reichtum - rollende schnaubende, rauchende Wunderwerke des neuen Jahrhunderts.
    Aber nicht alle mochten Autos. Dr. Wilson beispielsweise, der Dekan von Princeton, hatte öffentlich verlauten lassen, es handle sich um leichtfertige und prahlerische Spielzeuge, die sich nur die Reichen leisten könnten. Und deshalb schürten sie Unruhe und förderten den Sozialismus und die Anarchie unter den Armen. War das nicht der beste Beweis dafür, daß Wilson ein verknöcherter alter Esel war?
    Natürlich würde es noch ein Weilchen dauern, bis die Autos wirklich zuverlässig waren. Die Wahrscheinlichkeit war größer, eines am Straßenrand zu sehen, das den Geist aufgegeben hatte, als die, eines fahren zu sehen. In Ohio hatte Carl auf seinem Weg über die Landstraße einen buttergelben Stanley im Schlamm stecken sehen. Ein Farmer versuchte den Wagen mit Hilfe seiner Maultiere herauszuziehen. Carl erbot sich, von hinten anzuschieben. Der Farmer trieb seine stupiden Maultiere mit der Peitsche an; die Reifen standen in einer braunen Brühe. Der Stanley wurde herausgezogen. Carls erdverkrustetes Gesicht verzog sich in einem breiten Grinsen.
    Er träumte oft davon, hinter dem Lenkrad eines Autos über die Landstraße zu fahren, schnell zu fahren. Seit er vor drei Monaten in Indianapolis gearbeitet hatte, war der Traum zur Besessenheit geworden. Obwohl er seit seiner Kindheit nicht mehr in einem Theater gewesen war, kaufte er sich eine Karte für das Musical The Vanderbilt Cup. Inhalt des Musicals war das große Long-Island-Straßenrennen, das der angesehene William K. Vanderbilt 1904 ins Leben gerufen hatte. Die Truppe ging anschließend mit ihrem Broadway-Star, dem Rennfahrer Barney Oldfield, auf Tournee.
    Der aus Ohio stammende Oldfield war ein ehemaliger Radrennfahrer, der 1903 zum ersten Mal am Steuer eines Autos gesessen hatte. Er fuhr Henry Fords großen 999 gegen den Favoriten, den vom Autohersteller Alexander Winton in Cleveland hergestellten Bullet. Oldfield gewann auf dem 999.
    Barney Oldfield war kein besonderer Schauspieler, aber in der ausschlaggebenden Szene im zweiten Akt war er überzeugend. Zwei Rennautos, der Peerless Blue Streek und Barneys Peerless Green Dragon, lieferten sich vor laufendem Hintergrund ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen. Der Rauch, die Funken und blauen Flammen, die aus den Auspuffrohren loderten, waren täuschend echt. Barney trug seinen bekannten waldgrünen Rennanzug, einen grünen Lederhelm und eine Schutzbrille. Der Rest der Truppe feuerte ihn an. Natürlich gewann er. Er war der ungekrönte König des schnellen Fahrens, und er kriegte nicht zweitausend Dollar im Monat, um zu verlieren.
    Es war das erste Mal, daß Carl diesen Barney Oldfield sah, der damals auf dem Höhepunkt seines Ruhmes war. Es war auch das erste und einzige Mal, daß er begriff, was seine Schwester meinte, wenn sie von der Faszination des Theaters sprach. Das Schauspiel auf der Bühne wirkte wie ein Zauber auf ihn.
    Carls Traum erwachte erneut zum Leben, als Reeves sagte: »Zwei Typen in einem Fiat trainieren gerade für das Hundert-MeilenRennen am Wochenende. Schauen Sie doch mal rüber.«
    Er lief in das blasse, winterliche Sonnenlicht hinaus, schlängelte sich zwischen den Stallgebäuden hindurch zur Rennbahn, wo eine Maschine in einer braunen Staubwolke aufheulte. Er stieg auf die erste Brüstung. Als der Rennwagen kurz darauf auf die Kurve zuraste, wurden seine Haare und Schultern mit einer dicken Staubschicht bedeckt. Der Rennwagen erinnerte an eine Blechdose auf einem Gestell mit ungeschützten Rädern. Das Lenkrad befand sich wie bei allen anderen Autos auf der rechten Seite. Der

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