Fremde Federn
wie sein Freund, der Journalist und Schriftsteller Richard Harding Davis, aber er war klug und würde das sicher zustande bringen.
Ilsa und Fritzi kämpften sich gegen die Windböen zur Trambahnhaltestelle vor. Ilsa hatte dem Chauffeur heute freigegeben. An der Ecke kaufte sie bei einem Straßenhändler zwei geröstete süße Kartoffeln, um sich aufzuwärmen, solange sie warteten.
»Fritzi, die Leute in den kleinen Geschichten - sind das Schauspieler?«
»Sie halten sich wahrscheinlich dafür. Das ist ganz altmodisches Brimborium. So hat man vor fünfzig Jahren Theater gespielt. Modernes Theaterspiel ist - na ja, zurückhaltender. Ausdrucksstark und gleichzeitig verhalten. Booth hat es hierzulande eingeführt.«
»Wahrscheinlich müssen die Leute auf der Leinwand übertreiben, um das zu vermitteln, was sie ausdrücken wollen. Wäre das nicht auch eine Möglichkeit für dich?«
»Auf keinen Fall, Mama«, gab Fritzi heftig zurück. »Auf diese Art Unterhaltung werde ich mich nie einlassen! Lieber spiele ich gar nicht.«
»Und ich dachte, spielen sei spielen«, antwortete Ilsa verwundert. »Früher war das Leben soviel einfacher.«
7. DER GENERAL UND SEINE KINDER
Sein Cadillac sprang nach der zweiten Drehung der Kurbel an. Es handelte sich um einen zuverlässigen Vierzylinder, Modell 1906, mit vierzig Pferdestärken. Das für den Winter montierte Verdeck war schwarz wie die Karosserie und die Ledersitze. Der Wagen, ein Modell der Luxusklasse, hatte neu fast viertausend Dollar gekostet. Das teuerste Auto des Generals war jedoch sein für fast sechstausend Dollar erstandener Welch, ein Tourenwagen, der bei solchem Wetter wohlbehütet in der Garage stand.
Der General nahm auf der rechten Seite hinter dem Steuer Platz und setzte seine teure Fahrbrille auf, die mit den zwei vorderen und den beiden seitlichen Linsen an eine lederne Dominomaske erinnerte. Er fuhr durch das Osttor auf die Larrabee Street hinaus, wo ihm eine Schlange von Lieferwagen entgegenkam, alle hochbeladen mit Fässern, voll von dem eigens für Weihnachten gebrauten, kräftigen dunklen Bier.
Die Fahrt durch die verstopften Straßen der North Side ging nur langsam voran. Auf einer Kreuzung mußte Joe kräftig auf die Hupe drücken, weil ihm ein Simplex beinahe die Vorfahrt genommen hätte. Er fluchte, als Pferdedung bis zu seinen Kotflügeln heraufspritzte. Dem Fahrer eines Reo, der gefährlich nahe an ihm vorbeifuhr, drohte er mit erhobener Faust. Am östlichen Himmel türmten sich Wolken auf, die an riesige graue Granitblöcke erinnerten. Immer dichter werdende Graupelschauer prasselten gegen die Windschutzscheibe. Zum Glück trug er einen Mantel mit Fellkragen und warmem Lederfutter. Seine Stimmung paßte ausgezeichnet zum trüben Grau des Tages.
Die Graupelschauer gingen in Schnee über, als der General in die große Vierergarage am hinteren Ende des Grundstücks fuhr. Er parkte den Cadillac neben seinem Lieblingsfahrzeug, dem wunderschönen cremefarbenen Welch-Tourenwagen, der Platz für sieben Fahrgäste bot. Dessen vier Zylinder brachten es auf fünfzig Pferdestärken. Die funkelnde Karosserie, die herrlichen, knallroten Ledersitze mit den Rautenfalten waren eine Wonne für das Auge. Der in Pontiac, Michigan, hergestellte Welch war genau das richtige Topmodell für einen reichen Mann wie Joe. Lange hatte er mit einem Mercedes mit Kettenantrieb geliebäugelt, aber der kostete doppelt soviel. Aber zwölftausend Dollar für ein Auto waren seiner Meinung nach einfach übertrieben.
Im Haus übergab er dem Butler Leopold seine Automobilkleidung. Der phlegmatische Mann mittleren Alters ging einem weniger auf die Nerven als sein strenger Vorgänger Manfred. Leopold stammte aus Bayern, aber Joe konnte an ihm nicht die Trägheit bemerken, die er mit den Deutschen dieser Region verband.
In der Küche traf er Ilsa und die Köchin Trudi an, die dabei waren, den Teig für den traditionellen Weihnachtsstollen zu kneten. Joe küßte seine Frau, die laut lachte, als sie sah, daß sie ihm dabei Mehl aufs Kinn gestäubt hatte. Er bat, das Abendessen gegen acht Uhr zu servieren.
»Ich gehe noch mal ins Arbeitszimmer, um mir die neuesten Verkaufszahlen anzusehen. Klingle, wenn es soweit ist.« Joe hatte das Haus mit einer ausgeklügelten Klingelanlage ausstatten lassen, die seiner Vorliebe für Akkuratesse entgegenkam, allen anderen jedoch nicht selten auf die Nerven ging. Ilsa klingelte fünf Minuten nach acht, und Joe betrat gleich darauf das
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