Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
Vom Netzwerk:
hielt. Pater Pius war in gewisser Weise ein Abtrünniger - er hat Flavia heimlich die Beichte abgenommen.«
    Nach einer Pause fuhr er fort: »Die letzten Wochen waren in vieler Hinsicht sehr schmerzlich. Mein Arzt hat mir eine Reise empfohlen, und deshalb habe ich getan, was ich schon lange tun wollte - mir den Pazifik angeschaut.« Er sah sie an, das Gefühl, das aus seinen Augen sprach, war unmißverständlich.
    »Und dich wiedersehen.«
    »Harry - mmh, komm, ich zeig’ dir alles.«
    »Fein. Hast du Lust, mit mir essen zu gehen? Die Sehenswürdigkeiten können wir uns morgen anschauen.«
    »Natürlich.« Sie hätte es nicht übers Herz gebracht, nein zu sagen.
    Sie machte ihn mit den Filmleuten bekannt. Viele begrüßten ihn begeistert, wenn nicht gar verehrungsvoll, sie kannten seine Lieder. Harry lachte viel und bezauberte die Menschen. Aber Fritzi, die in einiger Entfernung stand, bemerkte wohl, daß seine Augen müde wirkten und sein Gang längst nicht mehr so schwungvoll war, wie sie ihn in Erinnerung hatte.
    Beim Abendessen schien sich seine Stimmung etwas zu bessern. Sie unterhielten sich über Pauls Buch und über seine wachsende Familie, über Harrys Erfolg als Komponist am Broadway, über den Krieg. Nachdem er sie in seinem kleinen, gemieteten Reo nach Hause gefahren hatte, begleitete er sie bis an die Haustür. Er blieb der perfekte Gentleman, ohne die geringste Andeutung einer Berührung, obwohl er sie, sie spürte es, gern umarmt hätte. Sie hatte sich vorgenommen, ihm nichts von Loy zu erzählen; sie hätte ihm damit nur weh getan.
    »Dann also morgen früh?«
    »Ja, ich habe mir den Tag freigenommen.«
    »Ich kann dir gar nicht sagen, was für ein Elixier du für mich bist, Fritzi. Ich habe mich seit Monaten nicht mehr so wohl gefühlt.«
    Auf Zehenspitzen drückte sie ihm rasch einen Kuß auf die Wange.
    »Das freut mich. Schlaf gut!«
    Es war ein turbulenter Tag: Sie fuhren mit der schienenlosen Trambahn für zehn Cent bis auf die Anhöhe des Laurel Canyon, wo sie eine herrliche Aussicht auf die Stadt und die Vororte genossen, die sich immer weiter ausdehnten, und auf die Gärten und Zitrushai-ne, die sich bis zum Meer erstreckten.
    Auf dem Markt von Los Angeles schlenderten sie zwischen Ständen und Wagen umher, kauften saftige Orangen, schnitten sie auf und lachten, als ihnen der Saft ins Gesicht spritzte. Sie schlürften eisgekühlte Getränke in einem Eiscafe und besuchten die große Halle der Handelskammer, deren berühmtestes Ausstellungsstück ein mit Stoßzähnen ausgestatteter, drei Meter großer Elefant war, den man ganz aus kalifornischen Walnüssen gemacht hatte.
    Am Ende des Tages kehrten sie in einem feinen Restaurant ein. Dort stellte Fritzi die Frage, die ihr schon ein Weilchen auf der Zunge lag: »Trägst du den Trauerflor ständig?«
    »Pater Pius meinte, das sollte ich. Ich möchte Flavia gebührend betrauern.«
    »Wie lange?«
    Harrys blaue Augen bohrten sich in die ihren. »Ein Jahr. Erst dann werde ich ein vollkommen freier Mann sein.«
    Erzähl ihm von Loy!
    Sie wußte, daß sie es ihm hätte sagen sollen, um ihm falsche Hoffnungen zu ersparen, aber . später, später. Irgendwie kam es ihr grausam vor.
    Ein leichter Nieselregen fiel, als er sie nach Venice zurückbrachte. »Ich möchte dir mein herzlichstes Beileid aussprechen«, sagte sie, als sie auf der geschützten Veranda standen. Lilys lebhafte Flüche drangen durch das Schlafzimmerfenster zu ihnen herunter; offenbar war sie mitten in der Arbeit. »Du bist mir ein wirklicher Freund geworden, Harry.«
    »Nicht mehr?«
    »Im Moment - nein. Es tut mir leid, im Moment ist es nicht mehr als das.«
    Das Licht, das durch das Fliegengitter der Eingangstür fiel, zeigte die Enttäuschung hinter seinem Lächeln. Er war in vieler Hinsicht ein wunderbarer Mann; aber er war eben nicht Loy. Sie fühlte sich hundeelend, weil sie sich mit einer Zurückweisung von ihm verabschiedete. Darum stellte sie sich auf die Zehenspitzen, nahm sein Gesicht in die Hände und küßte ihn auf den Mundwinkel. Er hob den Arm, als wollte er sie umfassen, seinen rechten Arm, den mit dem Trauerflor. Er tat es nicht.
    »Paß gut auf dich auf, Harry, bitte!«
    »Werde ich. Auf Wiedersehen, Fritzi.« Er setzte sich den Hut keck auf den Kopf, drehte sich um und lief im stärker werdenden Regen die Stufen hinunter.
    Der Himmel hörte nicht auf zu weinen. Die Regenzeit setzt früh ein, dachte sie, als sie sich am folgenden Abend müde aus Eddies Auto quälte.

Weitere Kostenlose Bücher