Fremde Federn
Der Drehtag für den neuen Nell-Film war lang und anstrengend gewesen. Eddie, dem es nicht entgangen war, wie niedergeschlagen sie war, bestand darauf, sie nach Hause zu fahren. Sie nahm dankbar an.
Er riet ihr, ein Schlafpulver zu nehmen und sich keine Sorgen um den neuen Film zu machen. Fritzi drückte seine Hand und wünschte ihm gute Nacht. Von Mrs. Hong erfuhr sie, daß Lily gegen sechs Uhr ausgegangen war. »Ich gehe auch«, sagte Mrs. Hong. »Auf dem Herd stehen Nudeln. Essen Sie was. Tut Ihnen gut.«
Fritzi bedankte sich und ging ins Wohnzimmer. Sie streckte sich auf dem Sofa aus, zu müde, um gleich hinaufzugehen und sich umzuziehen. In ihrer Tasche steckte ein Exemplar der Times. Sie rieb sich die Augen und versuchte, die neuesten Nachrichten aufzunehmen.
Es waren immer die gleichen Meldungen: hungernde Belgier, der deutsche General Hindenburg, der das Kommando an der russischen Front übernahm, ein Darlehen in Höhe von zehn Millionen Dollar für Frankreich. Außenminister Bryan, der Friedensapostel, verlangte, daß die Vereinigten Staaten alle kriegführenden Nationen gleichermaßen unterstützten. Fritzi wußte, sie hätte an all dem Anteil nehmen müssen, aber im Moment konnte sie es einfach nicht. Sie saß im Schneidersitz auf dem Sofa und versuchte nur, an nichts zu denken, nichts zu fühlen. So saß sie etwa eine halbe Stunde, während der Regen auf das Dach trommelte und die Dunkelheit hereinbrach.
Ihr Kopf fuhr hoch. Sie war eingenickt. Sie sah, daß draußen ein Auto stand, Scheinwerferlichter strahlten die silbernen Regentropfen an. Das Auto mußte sie geweckt haben.
Polizei? War Lily etwas passiert? Sie lief zur Eingangstür, blieb aber vor dem Fliegengitter stehen, spähte hinaus. Der Wind trieb den Regen auf die Veranda, es tropfte von der Dachrinne, das Wasser rann über den Weg zum Haus.
Die Wagentür ging auf und wieder zu. Der Fahrer stapfte durch den Schlamm, an den Scheinwerfern vorbei, wobei er von der Hüfte abwärts in Licht getaucht wurde. Dann sah sie seinen kegelförmigen Hut. »O mein Gott, Loy?«
Sie riß die Tür auf, rannte vor zum Geländer der Veranda. Er kam die Treppe heraufgelaufen. Sie griff nach seiner Hand. »Bist du’s wirklich? Wo warst du?«
»Arbeiten. Inces Episodenfilm hat länger gedauert als erwartet.«
Glückselig und zu schwach, um ihre Gefühle zu verbergen, fiel sie ihm um den Hals. Sie bog den Kopf zurück und sah ihn an. »Ich dachte, du kämst nie mehr zurück.« Sie küßte ihn flüchtig. Er roch nach Tabak und ein wenig nach Whiskey.
Sie zögerte, ihn loszulassen. Der Wind trieb den Regen auf die Veranda, sie wurden naß. »Wir sollten reingehen.«
Sie spürte, wie er den Arm um ihre Taille schlang, sie sanft nach drinnen zog. Er lachte, ein leises, gurgelndes Lachen, das an das Schnurren einer Katze erinnerte. »Klar doch. War aber ein schönes Willkommen für einen müden Wanderer. Hätte nichts gegen eine Wiederholung.«
Fritzi wurde fast ohnmächtig. Sie schlang die Arme um seinen Hals und küßte ihn leidenschaftlich. Ihr Herz schlug wild.
Er legte auch den anderen Arm um ihre Taille und zog sie fest an sich. Sie spürte seine Erektion an ihrem Bein. Sie nahm seine Hand, zog ihn zur Tür, wo sie vor dem Regen sicher waren. Ihre Kleider waren bereits durchnäßt, ihre Gesichter tropften. Über dem Meer im Westen grollte Donner. Loy drehte den Kopf, spähte ins Haus.
»Ist jemand zu Hause?«
»Niemand.«
Er küßte ihren Hals, ihr Ohrläppchen. »Du hast mir gefehlt, Kumpel. Können wir raufgehen?«
»Ja. O ja. Und keine Erwartungen, Loy, ich verspreche es«, stieß sie hervor, überwältigt von seiner Gegenwart, seinen Händen, seinem Mund, von der Dunkelheit, dem Sturm und all diesen Monaten des Wartens. Sie küßte ihn heftig mit offenen Lippen und saugte sich an den seinen fest. Als sie sich losmachte, um die Tür zu öffnen, zitterte sie. Loy schüttelte das Wasser von seinem Hut und machte eine galante, fast einladende Geste damit.
»Hab’ mal gelesen«, sagte er und trat ein, »daß man’s richtig machen muß.« Ihre Kräfte schwanden. Ohne Furcht und ohne Scheu ließ sie sich von seinen kräftigen Armen hochheben und in das dunkle Haus tragen.
73. ENTHÜLLUNGEN
Zuerst verspürte sie bei dem Zusammensein mit ihm ängstliche Beklommenheit, doch die schmolz bald dahin und verwandelte sich in drängendes Begehren. Eine wachsende Leidenschaft ließ sie alles vergessen außer der Glut ihrer Empfindungen und vertrieb ihre
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