Fremde Federn
zu übersehen waren die Spuren, die ihre einmaligen Auftritte in all den Jahren hinterlassen hatten: Ölflecke, die auch durch wiederholtes Scheuern nicht zu beseitigen waren, und tiefe Dellen in den Metallkappen an den Ecken.
»Ich gehe, Mama. Er verachtet mich.«
»Das stimmt nicht, es ist nur die Schauspielerei. Und der Gedanke, dich allein in New York zu wissen.«
»Was macht das schon für einen Unterschied? Ich bin nun mal Schauspielerin. Schauspielerinnen gehören nach New York.« Sie stopfte ein Paar Schuhe in ihre braune Ledertasche auf dem Bett. In einer Lasche unterhalb des Griffs steckte eine zerknitterte Karte, die sie 1901 sorgfältig mit Tinte beschriftet hatte:
Miss Frederica CROWN
MORTMAIN’S
Royal Shakespeare Combination
Birmingham, ALABAMA
Verzweifelt nach einem Ausweg suchend, rang Ilsa die Hände. Der Himmel vor Fritzis Fenster wirkte düster und bedrohlich. »Papa hat seit der Feier vorgestern noch keine drei Worte mit mir gesprochen. Er geht mir aus dem Weg. Ich habe noch nie einen so schrecklichen Sonntag erlebt. Ich nehme den Zug um vier Uhr.«
»Fritzi, heute ist Heiligabend. Es ist das Fest der Familie, Papa zündet die Kerzen am Baum an ...«
»Ich werde Heiligabend allein feiern. Er kann sich nicht ändern,
Mama. Oder mir das Recht zugestehen, mein eigenes Leben zu leben
- zu versagen, wenn es denn sein sollte. Aber das wird nicht sein, das verspreche ich dir. Papa verfällt in sein altes Verhalten. Er kommandiert alle herum, und alle müssen tun, was er für richtig hält; und wenn sie ihm nicht wie kleine Soldaten gehorchen, ist er furchtbar böse mit ihnen, was er ihnen auch ohne Worte deutlich zu verstehen gibt.«
»Ich gebe ja zu, daß dein Vater ein schwieriger Mensch ist. Es ist oft nicht leicht, mit ihm zu leben.«
»Schwierig? Unmöglich wäre wohl das bessere Wort! Ich hätte schon vor Monaten gehen sollen, sobald er wieder auf den Beinen war.«
»Gibt es denn nichts, was ich tun könnte, um dich umzustimmen?«
»Nichts. Carl begleitet mich zum Bahnhof, du brauchst dir also keine Umstände zu machen.«
»Umstände? Du bist mein Kind, meine einzige Tochter.«
»Nun, du brauchst dir keine Sorgen zu machen, deine einzige Tochter wird in New York sehr gut zurechtkommen.« Die Worte klangen zuversichtlicher, als ihr in Wirklichkeit zumute war. Sie riß die Ledertasche auf und legte einen Rock auf das braungelbe Lederfutter.
Ilsa tupfte sich mit dem Taschentuch die Augen ab. »Ich habe Geschenke für dich.«
»Meine liegen unter dem Baum. Für Papa habe ich einen karierten Schal gekauft, aber ich bin sicher, er wird ihn verbrennen oder wegwerfen.«
»Du urteilst zu hart über ihn.«
»Das glaube ich nicht.«
»Du mußt deine Geschenke mitnehmen. Warte.«
Fritzi packte weiter. Kurz darauf kehrte Ilsa mit zwei weißen Schachteln zurück, einer großen mit dem Namen des Fair Store und einer kleineren, ungefähr sechs Finger breit und lang, von Field’s.
»Mach sie auf. Bitte.«
Sie sah ihre Mutter mit einer Mischung aus Liebe und Trauer an, während sie das rote Geschenkband von der großen Schachtel löste und das Seidenpapier zurückschlug.
»Oh, Mama, wie schön!«
»Ein Wintermantel. Du braucht einen warmen Mantel, egal ob du hier oder in dieser gräßlichen Stadt bist.«
Mit leuchtenden Augen nahm Fritzi den Mantel aus der Schachtel. Er war aus dunkelbraunem Cheviot-Stoff mit kleinem schwarzbraunem Karomuster und auf der Vorderseite mit Perlmuttknöpfen zu schließen. Das Futter war aus leuchtendgelber Seide, der Kragen pelzverbrämt.
»Ich hoffe, er paßt dir in der Länge, ich habe einfach geschätzt«, sagte Ilsa.
Fritzi hielt ihn an sich, im stillen froh und glücklich. Hätte ihr Vater ihr den Mantel gegeben, hätte sie sich geweigert, ihn anzunehmen, aber da er von ihrer Mutter kam, konnte sie ein Auge zudrük-ken. Sie war vernünftig genug, um einzusehen, daß sie nicht den ganzen Winter frieren konnte; ihr alter Mantel war für den milderen Süden gedacht.
»Ich hoffe, daß du das andere Geschenk ebenfalls brauchen kannst.«
Fritzi öffnete die Schachtel von Field’s; ihr Blick fiel auf zwei weiße Polster. Als sie eines in die Hand nahm, spürte sie, daß es wattiert war. »Das sind Einlagen«, erklärte Ilsa. »Man steckt sie in ...«
»Ja, Mama, ich hab’ schon verstanden.«
»Aber eigentlich hast du sie gar nicht nötig.«
Fritzi ließ die Polster in ihren Schrankkoffer fallen. »Du bist eine miserable Schwindlerin. Natürlich
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