Fremde Federn
Artikel in der Times gesehen, als ich zurückkam. Was ich gelesen habe, hat mir gar nicht gefallen.«
Sie tupfte sich mit dem Taschentuch die zerfließende Schminke vom Gesicht. »Tut mir leid. Anscheinend sind wir über den Krieg geteilter Meinung. Ich habe nur gesagt, was ich empfinde.«
»Nehmen Sie sich meinen Rat zu Herzen. Lassen Sie sich nicht einspannen, das kostet nur unnötige Kraft.« Er lächelte mit der Aufrichtigkeit eines Heiratsschwindlers, der eine Witwe umgarnt. Gutmütigkeit war nicht sein Fach.
Sie erwiderte ärgerlich: »Es gibt Wichtigeres, als Filmstar zu sein und Autogramme zu verteilen.«
»Nicht, wenn es an meinen Geldbeutel geht, meine Gute. Es heißt, die Filmleute seien der neue Adel, vielleicht der einzige Adel, den dieses Land je hervorgebracht hat. Und Sie gehören dazu. Sie brauchen sich nur die Presse anzuschauen, die Sie haben. Die Menschen würden Ihnen zuströmen, auch wenn Sie pupsen würden.«
»Al, bitte!«
Er fuhr in schärferem Ton fort: »Wenn Sie zu einem Thema, das die ganze Nation beschäftigt, den falschen Standpunkt einnehmen, kann es passieren, daß Ihr Publikum Sie ganz schnell fallenläßt. Und das können Sie sich nicht leisten.«
»Ich lasse es auf einen Versuch ankommen.«
»Na schön, Liberty kann es sich nicht leisten. Ich werde es nicht zulassen.«
Sie hörten sich an wie zankende Kinder, aber wie Kelly sie anfuhr, das war weder kindisch noch lustig. »Halten Sie sich von solchen Demonstrationen fern. Und keine Reden mehr! Das ist eine Anordnung! In dieser Firma bestimme ich, was gemacht wird.«
»Aber nicht bei mir, Al. Nicht außerhalb der Tore.«
»Dann ist das Ihr letzter Film als Nell.«
»Wie bitte?«
»Dieser Rechtsanwalt, den Sie uns auf den Hals gehetzt haben -ein wahres Genie. Er hat nur eine Kleinigkeit übersehen. Sie haben einen Vertrag unterschrieben, der Sie verpflichtet, drei Jahre lang für Liberty zu arbeiten. Sie haben aber kein Mitspracherecht, was die Art der Arbeit anbelangt, das heißt, in welchem Film Sie spielen. Wir müssen Sie bezahlen, aber wir müssen Sie nicht spielen lassen.«
»Haben Sie den Verstand verloren? Die Nell-Komödien bringen ein Vermögen.«
»Sicher, aber das wird sich sehr schnell ändern, wenn Sie weiterhin Ihren Mund zum Thema Krieg aufreißen. Die Hälfte der Menschen in diesem Land will damit nichts zu tun haben. Die Hälfte! Vielleicht auch mehr. Merken Sie sich eins, Fritzi: Liberty hat die Nell-Filme geschaffen, und Liberty besitzt die Rechte an dieser Figur. Wir können jede beliebige Schauspielerin für die Rolle engagieren. Wir können Sie wieder zurück zu Ihren Cowboy-Filmen schicken, wo Sie Prinzessin Lachendes Regenwasser spielen. Verstehen Sie, was ich sage? Wir können Sie schwarz anmalen und als Negermädchen auftreten lassen. Oder als das Hinterteil eines Pferds.«
»Sie bluffen.«
»Gut, wie Sie meinen. Sie werden ja sehen. Nehmen Sie Urlaub, Fritzi. Einen schönen, langen Urlaub. Wenn dieser Nell-Streifen abgedreht ist, können Sie so viele gottverdammte Reden für England halten, wie Sie nur wollen. Ach übrigens, noch eins. Sparen Sie sich diesmal die Mühe, zu Hayman zu rennen. Ham ist in dieser Sache völlig meiner Meinung. Er findet es gar nicht komisch, was die
Schmutzfinken von der Presse über Studiobesitzer schreiben. Daß alle deutsche Juden seien, die den Kaiser lieben.«
Er schwang sich in seinem Stuhl herum und wandte ihr den Rücken zu. Fritzi wankte aus dem Büro. Ihre komischen Schuhe klatschten. Sie fühlte sich wie ein Abstinenzler, der auf leeren Magen einen Liter Gin gekippt hat.
Ein kühler Wind aus den Bergen ließ die Temperaturen in der Nacht absinken. Fritzi zündete ein Feuer an und legte eine neue Scheibe auf das Victrola. Caruso und sein Vesti la giubba hallte im ganzen Haus wider. Das Lied über einen traurigen Clown schien ihr passend.
Sie lag auf dem Navajo-Teppich vor dem Kamin und wärmte sich die nackten Füße. Ihr Blick trübte sich beim Klang der Musik, sie dachte an Loy. Die klagende Weise verstummte; die Nadel fuhr kratzend weiter über die Platte. Fritzi zog den Apparat auf und spielte das Lied noch einmal ab.
Die Irrungen und Wirrungen der Welt verunsicherten und frustrierten sie wie nie zuvor. Das ganze Leben träumte man von der großen Liebe, und dann stellte sich heraus, daß man den falschen Mann erwischt hat. Man schlug einen Weg ein, auf dem man sich Erfolg erhoffte, aber es war der falsche. In einer Mischung aus Verzweiflung
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