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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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wurde.«
    »Hat Fritzi etwas damit zu tun, daß du hier bist?«
    Paul vermied den Blick seines Onkels nicht. Er blinzelte nicht einmal. »Sie wollte, daß du den Film siehst, ja. Aber ich übernehme die Verantwortung. Es war meine Entscheidung, in Chicago haltzumachen.«
    Ein greller Blitz tauchte die Fenster in weißes Licht. Widerwillig sagte der General: »Na schön! Für dich, nicht für sie.«
    Paul sprang auf. »Ich habe einen Leihprojektor mitgebracht.«
    Nach den eher nüchternen Szenen von deutschen Soldaten hinter den Linien und den grauenerregenden Einblendungen der Schützengräben erschien das belgische Feld auf der Leinwand. Der Unteroffizier klopfte mit seiner Zigarette auf ein Metalletui. Die Soldaten hoben die Gewehre.
    Der Unteroffizier befahl die Anwendung von Bajonetten. Eine kniende Frau sank ohnmächtig zu Boden. Ein Bauer in mittleren Jahren legte den Arm um seine Frau.
    Der ungeduldige Unteroffizier winkte mit der Zigarette. Die Soldaten nahmen die Bajonette hoch, stürmten vor und rammten die Stahlklingen in die sechs Opfer. Als diese mit schmerzverzerrten Mienen zusammenbrachen, stießen die Soldaten noch einmal zu und dann noch einmal, viel häufiger als nötig.
    Joe Crowns kalte Zigarre fiel zu Boden. Seine Hände umklammerten die Lehnen seines Sessels, als die Leinwand dunkel wurde. Regen klatschte gegen die Fensterscheiben. In seiner Erschütterung fielen ihm nur die abgedroschenen Worte ein: »Gott im Himmel.«
    Taumelnd stand er auf. Paul trat rasch an seine Seite, um ihn zu stützen. »Ich brauche Luft.«
    »Draußen stürmt es, Onkel Joe.«
    »Luft. Komm mit oder bleib, wie du willst.«
    Wie ein verletztes Tier wankte er zur Tür. Paul folgte ihm durch das dunkle Erdgeschoß. Der Wind ließ die Haustür krachend auffliegen.
    Der General ging mit unsicheren Schritten die Stufen vor dem Eingang hinunter und kämpfte gegen den Wind an, der ihnen feine Sandkörnchen ins Gesicht spie. Ein leeres Faß wurde in einer Wolke von Staub rumpelnd über die Michigan Street getrieben. Plötzlich drückte ein Gewicht auf Joes Brust wie von einem eisernen Amboß. Er stützte sich an einer Ulme ab und rang nach Atem.
    »Onkel Joe, was hast du?«
    »Zieht nur ein bißchen. Hab’ ich ab und zu mal. Geht vorbei.«
    Diesmal dauerte es fünf Minuten, bis es vorüber war.
    »Jetzt ist es wieder gut.« Der Wind blies ihm nun in den Rücken, und sein weißes Haar wehte ihm um den Kopf. Pauls Krawatte knallte im Wind wie eine Peitsche.
    »Weiß Tante Ilsa von diesen Schmerzen?«
    »Nein.« Joe hob seinem Neffen eine Faust unter die Nase. »Du darfst ihr auf keinen Fall etwas davon sagen. Ich verbiete es dir ausdrücklich!«
    Tief erschüttert und ernüchtert von Pauls Film, fand Joe Crown in den nächsten Nächten keine Ruhe. Seine Angestellten mußten plötzliche Wutausbrüche ertragen, was sie aus gelegentlichen Krisenzeiten der Vergangenheit noch als Zeichen inneren Aufruhrs kannten.
    Geschäftsleute aus Joes Bekanntenkreis traten mit der Bitte an ihn heran, seinen Namen für eine Anzeige benutzen zu dürfen, die sich für Friedensverhandlungen zwischen Deutschland und den Mittelmächten einsetzte. Die meisten der bis dahin geleisteten Unterschriften stammten von Deutschamerikanern. Man bat ihn außerdem um fünfhundert Dollar als Beteiligung an den Kosten für die zweisprachige Anzeige, die in den englisch- und deutschsprachigen Zeitungen der Stadt erscheinen sollte.
    »Ich werde unterschreiben, und ich werde euch das Geld geben«, willigte er ein. »Aber mißversteht meine Beweggründe nicht. Ich hege keine Sympathie für die Männer, die diesen Krieg von Berlin aus führen. Ich möchte, daß der Krieg beendet wird, damit die Ermordung Unschuldiger aufhört.«
    »Durch die Alliierten«, sagte einer der Männer.
    »Durch beide Seiten«, erwiderte er.
    Die Motive des Generals waren aus dem reißerischen Text der polemischen Anzeige natürlich nicht ersichtlich. An einem schwülen Abend steckte jemand auf einem eingezäunten Gelände der Brauerei Lieferwagen in Brand. Joe wurde um drei Uhr in der Nacht aus dem Bett geholt.
    Als er um die Mittagsstunde des nächsten Tages in den Union League Club zum Essen fuhr, näherten sich die Temperaturen achtunddreißig Grad Celsius. Der Rücken seines leichten Sommeranzugs war schweißdurchtränkt. Auf den Stufen des Clubs blieb er atemlos stehen, um sich die Stirn abzuwischen.
    Während er an besetzten Tischen vorbei zu seinem gewohnten Tisch am Fenster ging, sprach

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