Fremde Federn
tippte sich ein zweites Mal an den Hut und reichte ihr die Rosen.
»Oh, vielen Dank, sie sind wunderschön.« Sie sah sich nach einer Vase um, doch natürlich gab es in einem Westernsaloon keine Vasen. Rosetta eilte herbei, um ihr die Blumen abzunehmen, und versprach, sie sofort ins Wasser zu stellen.
Harry räusperte sich und griff in seine Jacke. Sie bemerkte gefaltete Blätter in der Innentasche, aber er ließ sie stecken und wies statt dessen auf die neugierigen Blicken der Komparsen, des Regisseurs, des Kameramanns, des Bühnenschreiners und der Bühnenarbeiter. »Könnten wir uns vielleicht irgendwo ungestört unterhalten?« raunte er.
Fritzi zeigte auf eine Stelle weiter hinten, wo das Grundstück noch unbebaut und von Unkraut überwuchert war. »Vielleicht dort.«
»In Ordnung, geh du voran.«
Sie traten ins Freie hinaus. Harry entdeckte einen alten, verrosteten Schubkarren und setzte sich auf die Seite mit dem platten Rad. Fritzi ließ sich auf der anderen Seite nieder.
»Ich freue mich so sehr, dich zu sehen, Harry. Hast du geschäftlich in Los Angeles zu tun, oder machst du wieder Urlaub?«
»Weder noch.« Er sah sie eindringlich an. »Ein Jahr ist vergangen.«
»Stimmt.« Sie hatte es also nicht vergessen.
»Ein bißchen mehr als ein Jahr, um genau zu sein. Ich war in London, um meine neue Show vorzubereiten. Ich habe ein Lied für dich mitgebracht. Es ist noch nicht perfekt, auch noch nicht fertig, es fiel mir auf der Überfahrt ganz plötzlich ein. Wußtest du, daß John Philips Sousa The Stars and Stripes Forever auf ähnliche Weise geschrieben hat?«
»Tatsächlich?«
»Er kehrte, tiefbetrübt über den Tod eines Freundes, nach Amerika zurück, und der Marsch schrieb sich innerhalb von Minuten mehr oder weniger von selbst. Ich war allerdings alles andere als tiefbetrübt! Aber die ersten Zeilen sind auch mir blitzartig eingefallen.«
Er kramte das gefaltete Notenpapier hervor, das ihr schon aufgefallen war. Er räusperte sich und begann leise in einem angenehmen, wenn auch ungeübten Bariton zu singen:
»Ich geb’ nicht auf,
Du gibst nicht nach,
Liebst mich bis zum heut’gen Tag nicht so sehr, wie ich dich mag.
Liebste, nein, ich geb’ nicht auf, warte mit Geduld darauf.
Meine Liebe reicht für zwei,
Alles sonst ist einerlei.«
Harry hob den Blick, sein Gesicht war tiefrot. »Du siehst, daß es noch nicht perfekt ist, nicht wahr? >Meine Liebe reicht für zwei< -das ist schlecht, schwierig zu artikulieren. Das Problem ist ...« Sein Adamsapfel hüpfte wild auf und ab, und seine blauen Augen fixierten sie mit einem Ausdruck, der ihr die Haut im Nacken kribbeln ließ.
»... das Problem ist, daß diese Worte den Gedanken haargenau ausdrücken.«
»Harry, was willst du mir sagen?« Sie hatte fast Angst vor der Antwort.
»Ich will dir sagen, daß ich dich liebe, und ich stelle mich dabei verdammt dumm an.«
Die Glut seiner Worte verblüffte sie - und schmeichelte ihr. Sie bemerkte verschwommene Gesichter, die sich an die Glasscheiben der Bühne drückten. Sie wandte ihnen den Rücken zu und klemmte die verschränkten Hände zwischen die Knie.
»Hör mal, Harry .«
»Bitte, Fritzi« - die Worte sprudelten aus ihm heraus -, »laß mich sagen, was ich dir sagen möchte und weshalb ich Tausende von Meilen gereist bin. Ich habe von diesem Land geträumt, lange bevor ich es sah. Ich habe von den unbegrenzten Möglichkeiten in Amerika geträumt, und als ich hier ankam, entdeckte ich die Freiheit, die ein Mann braucht, um seine Träume zu verwirklichen. Ich entdeckte auch neue Träume. Allein die Luft in diesem Land löst Visionen von Dingen aus, die durchaus erreichbar sind. Alle meine Träume haben sich erfüllt, bis auf einen, und das ist der wichtigste. Du, Fritzi. Dich ganz für mich allein zu haben. Bei dir zu sein, solange ich lebe. Ich habe davon geträumt, seit wir uns im Central Park begegnet sind. Ich habe mich an diesem Tag in dich verliebt, aber ich konnte nichts tun, außer ein Lied zu schreiben. A Girl in Central Park. Jetzt bin ich frei. Ich möchte wissen, ich muß wissen, ob es eine kleine Chance für mich gibt.«
Eine Biene summte an ihrem Gesicht vorbei. Sie verscheuchte sie mit der Hand.
»Harry, ich möchte dir nicht weh tun. Du bist ein guter, aufrichtiger Mann, ein liebenswerter Mann. Du verdienst es, daß ich ehrlich bin. Ich mag dich sehr. Ich bewundere dich über alle Maßen. Aber ich liebe dich nicht so, wie du es möchtest.«
Anstelle von Enttäuschung
Weitere Kostenlose Bücher