Fremde Federn
Simkins. Es hat mich sehr gefreut, Sie kennenzulernen.«
»Das gleiche gilt für mich, Miss Crown.« Sie reichten sich die Hand wie zwei Trauernde.
Vor dem Theater blieb sie eine Minute lang unter der Markise stehen, um dem peitschenden Regen zu entgehen. Ihre Hände waren kalt und rauh. Ihre gestrickten Handschuhe waren zerschlissen. Im Geiste hörte sie ihre Mutter sagen: »Liebchen, eine junge Dame geht nie ohne Handschuhe aus.« Nein, aber eine Schauspielerin ohne Engagement sehr wohl.
Der Regen tropfte an den Seiten der Markise herunter und schoß in den Abfluß hinter ihr. Die bitterkalte Septemberluft schien bereits den Winter anzukündigen. Sie starrte auf den Papierstreifen, der quer über dem Plakat klebte: ABGESETZT. Ihre Wangen waren naß, aber nicht vom Regen.
Das Macbeth-Engagement war für sie der letzte Prüfstein dafür gewesen, ob sie in New York bestehen konnte. Sie wußte, daß sie für das Fiasko nicht persönlich verantwortlich war, aber das war kein Trost. »Was nun?« Sie hatte gar nicht gemerkt, daß sie laut gedacht hatte, bis ein Erdnußverkäufer, dessen Röstpfanne mit einem Öltuch bedeckt war, an ihr vorüberging und ihr einen verwunderten Blick zuwarf.
Eine Eingangstür wurde aufgestoßen. Aus der Tür trat mit hochgeschlagenem Kragen Hobart. »Fritzi! Wollten Sie sich mit eigenen Augen überzeugen, daß es wahr ist?«
»Offenbar«, sagte sie mit einem traurigen Lächeln.
»Wie geht’s weiter? Haben Sie schon irgendwelche Vorsprechtermine?«
»Nicht direkt.«
»Schade. Wie sieht’s finanziell aus?«
»Die nächsten zwei Wochen werde ich nicht verhungern.«
»Ach, ein grausamer Beruf! Mir geht es nicht viel besser. Heute nachmittag habe ich die Bühnenarbeiter und Kostümverleiher bezahlt. Ich hab’ es erst jetzt gemacht, um sicherzustellen, daß genügend Geld übrig ist, um dem Ensemble die volle Gage zu geben.«
»Ich möchte Ihnen sagen, wie leid es mir tut.«
»Und mir erst, das können Sie mir glauben.«
»Die Vorstellungen am Dienstag und Mittwoch waren sehr gut. Und gestern abend war ausgezeichnet.«
»Trotzdem hat uns der Fluch, der auf diesem Stück liegt, eingeholt. Ich hätte Ein Sommernachtstraum nehmen sollen. Feen sind harmlos. Ich werde Sie vermissen, Fritzi. Aber noch ist die Stunde des Abschieds nicht gekommen. Ich habe genügend Geld für ein Abendessen bei Rector’s in der Tasche. Wenn Sie nicht zuviel bestellen.«
Er schlug seinen Umhang zurück, zog seine Taschenuhr heraus, ohne die Hasenpfote an der Kette auch nur eines Blickes zu würdigen. »Wir können frühestens in einer Stunde essen. Wollen wir uns nicht solange ein paar galoppierende Bilder anschauen?«
»Sie meinen Filme? In einem Nickelodeon?«
»Ja! Ich finde sie herrlich. Dort drüben ist das Variety. Kommen Sie!« Er hakte sich bei ihr ein. Sie brachte es nicht übers Herz, ihm zu sagen, wie zuwider ihr diese billige Unterhaltung war.
Während sie, unter ihrem Schirm zusammengedrängt, über die Straße gingen, sagte Fritzi: »Ich habe gehört, daß diese Filmfirmen ausgebildete Schauspieler beschäftigen. Die Gagen sollen sogar ganz gut sein, fünf Dollar pro Tag. Würden Sie so was machen?«
»Ich? Bestimmt nicht!«
»Ich auch nicht.«
Hobart bezahlte die Eintrittskarten. Eine Vorstellung war eben zu Ende gegangen. Sie sicherten sich einen Platz auf einer harten Bank ziemlich weit hinten. Das Nickelodeon füllte sich schnell. Der Projektor ratterte, ein Lichtstrahl durchbohrte die Dunkelheit. Auf der Bildwand erschien ein flackerndes Bild: der Titelvorspann.
»Ah, gut, eine neue Biographie«, flüsterte Hobart. »Die Geschichten sind immer ziemlich spannend.«
Der Einspuler mit einer Laufzeit von ungefähr fünfzehn Minuten war ein Melodram, in dem ein junges Mädchen aus gutem Hause entführt und vom Chauffeur der Familie gerettet wurde, mit dem sie anschließend durchbrannte, womit Liebe und Mut über alle sozialen Grenzen hinweg triumphierten. Fritzi bemerkte verlegen, daß die Geschichte sie gefangengenommen hatte. Danach wurde Aktuelles gezeigt, Sachen, wie Paul sie machte. Ein starker Mann hob eine Löwin hoch und stemmte sie über seinen Kopf; ein Zeppelin schwebte am Eiffelturm vorbei; Kaiser Wilhelms Husaren galoppierten durch einen Berliner Forst; fünf Mädchen in Badeanzügen tummelten sich am Strand von New Jersey. Die nächste Filmspule bestand aus zwei kurzen Komödien. Die Akteure traten versehentlich in Eimer und fielen von Leitern herunter. Autos rasten
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