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Fremde Gäste

Fremde Gäste

Titel: Fremde Gäste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Scott
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Sohn »seine eigenen Wege gehen« wollte, was natürlich normale Transportmittel ausschloß. »Ich weiß nicht recht«, sagte ich schüchtern, »es war aber doch ein Glück, denn er scheint ganz in seinem Element zu sein. Er hat bei Colonel Gerard, ein paar Kilometer von hier, einen Job bekommen; der Colonel schätzt ihn sehr. Für David bedeutet das eine — eine Erfahrung, Mrs. Hepburn.«
    »Bestimmt ist es das!« Sie nickte unsicher. »Aber...«
    Sie tat mir leid, sie war so ratlos über ihren Sohn. Wem wäre das nicht so gegangen? Wie Larry bemerkt hatte: »Stell dir vor, es handelte sich um Christopher!«
    Rasch sprach ich weiter: »Mein Name ist Susan Russell, und das ist Larry Lee, Mrs. Hepburn. Wir beide sind Farmersfrauen und haben beide kürzlich einen Anhalter mit heimgebracht.« Es sollte unbefangen klingen, aber das gelang mir nicht recht, und Larry sprang ein: »Es ist sonst bei uns nicht Sitte, einen Anhalter mitzunehmen und hierherzubringen, Mrs. Hepburn. Susan befand sich in einem Irrtum. Sie sah ihn von hinten, und diese langen Haare...« Sie stockte, und Mrs. Hepburn seufzte wieder. »Ich weiß! Dieser alberne Junge! Von hinten kann man ihn für ein Mädchen halten. Es tut mir schrecklich leid. Und Ihr Anhalter, hatte der auch so lange Haare?« fragte sie. Sie gab sich große Mühe, die Angelegenheit von der heiteren Seite zu nehmen.
    »Keineswegs!« fuhr ich triumphierend dazwischen. »Aber er hatte einen Hund dabei, und das genügte Larry. Es erwies sich aber, daß der junge Mann recht brauchbar ist. In diesen arbeitsreichen Wochen sind wir froh um einen Helfer. Der Januar ist für uns einer der schlimmsten Monate wegen der Heuernte und der Schafschur und so weiter.« Ich wurde wohl etwas weitschweifig, und Miß Adams, die vergnüglich zugehört hatte, unterbrach: »Wie wäre es, wenn Mrs. Hepburn auf eine Tasse Tee zu mir ins Wohnzimmer käme? Da können wir uns gemütlich über die Jugend von heute unterhalten.«
    Mrs. Hepburn nahm das dankbar an; ich sah, daß sie etwas verwirrt war. Tantchen war durchaus nicht der Typ, den sie bei den »Hinterwäldlern« erwartet hatte. Und mit Larry und mir ging es ihr wohl genauso. Für sie war das wohl eine Erleichterung, denn es bewies, daß David hier wenigstens in anständiger Gesellschaft war. Larry hat die fatale Neigung, den Charakter eines Menschen zu schildern, den sie gar nicht kennt. Sie täuscht sich dabei oft gewaltig, und bei Mrs. Hepburn hatte sie sich gründlich geirrt. Sicherlich war diese hübsch und modisch gekleidet, aber ihr Gesicht war weich, und ihre ganze Erscheinung machte einen sensiblen und verletzlichen Eindruck. Sie hatte ihren David mit seinen seltsamen Eigenschaften wohl schon oft verteidigen müssen und war jetzt besonders ärgerlich um seinetwillen. Er hatte seine Mutter gewiß nicht überschätzt, als er zu mir sagte, sie sei »schon recht«.
    Für einen Fremden war Miß Adams’ Wohnzimmer stets eine Überraschung. Ihre Privaträume grenzten an den Laden; sie waren riesig gemütlich. Das Wohnzimmer, mit einigen recht guten Bildern an der Wand, war ganz bezaubernd. Mrs. Hepburn war zu taktvoll, um ihre Verwunderung zu zeigen, aber sie sagte doch: »Welch ein wunderschöner Raum!« Dann nahm das einzige Foto im Zimmer ihr Interesse in Anspruch. Es stand auf einem antiken Schrank und zeigte Tantchens Mutter in jungen Jahren, ein entzückendes Mädchen mit der Grazie und der Haltung ihrer Generation. »Verzeihen Sie bitte!« sagte Mrs. Hepburn und nahm das Bild vom Schrank, um es genauer anzusehen. Sie wandte sich an Tantchen: »Bitte, Miß Adams, erklären Sie mir doch! Das ist nämlich die Cousine meiner Mutter, Elizabeth Adams, geborene Graham.«
    Tantchen war überrascht. »Freilich ist das Elizabeth Adams, meine Mutter.«
    »Dann sind Sie Lavinia Adams, meine Cousine!« schloß Mrs. Hepburn triumphierend.
    Ein dramatischer Augenblick! Die beiden Damen sahen einander an, dann streckte Tantchen die Hand aus. »Sie heißen Diana Graham, wenigstens hießen Sie so, bevor Sie geheiratet haben. Unsere Mütter waren Cousinen. Das nenne ich eine Überraschung!«
    Zu meinem Bedauern muß ich gestehen, daß Larry bei dieser ergreifenden und stimmungsvollen Szene einen halb unterdrückten, gurgelnden Ton von sich gab. Ich erkannte den Grund: Miß Adams hatte stets mit »L. A. Adams« unterschrieben. Wir wußten, daß das A für Anna stand. Das Geheimnis des L wurde nie gelüftet. Larry hatte einmal danach geforscht und war energisch

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