Fremde Wasser
dem Flur
Kurz vor Mitternacht fuhr Denglers ICE im Stuttgarter Hauptbahnhof ein. Er nahm ein Taxi und ließ sich zum Basta bringen. Olga saß nicht im Lokal. Er ging nach oben. In ihrer Wohnung war kein Licht. Leise klopfte er, niemand öffnete. Eine
halbe Stunde später lag er im Bett und konnte nicht einschlafen. Die Reise war Zeitverschwendung gewesen. Es gab keinen Mord.
Kein Motiv. Keine Tat. Es gab einfach nichts. Er würde der alten Dame den größten Teil des Geldes zurückgeben. Im Geiste rechnete
er seine Unkosten zusammen, doch bevor er sie zusammenzählen konnte, war er in Gedanken schon wieder bei Olga.
Etwas aus ihrem Vorleben war aufgetaucht. Was wusste er von ihrem früheren Leben? Kaum etwas. Sie hatte ihm nie etwas aus
ihrer Zeit in Rumänien erzählt, nichts aus der Zeit, als sie, noch ein Kind, gezwungen wurde, als Kinderdiebin zu arbeiten.
Im Grunde kannte er sie kaum.
Er konnte immer noch nicht schlafen. Angelika Schöllkopfs Mann tauchte in seinen Gedanken auf.
Er trug zwar schwarz, aber er hatte nicht gerade wie ein trauernder Witwer gewirkt. Seine Frau war seit zwei Wochen tot. Da
kann man sich gefangen haben. Er muss das Kind versorgen. Die kleine Maria aus den Philippinen hält ihn auf Trab.
Wie würde ich mich fühlen, wenn Olga schon zwei Wochen tot wäre?
Er konnte sich keinen Tag ohne sie vorstellen.
Dengler stand auf, er fuhr den Rechner hoch und startete die Abhörsoftware. Er gab die Telefonnummer Schöllkopfs ein. Das
Programm zeigte ihm an, dass der Witwer noch wach war, denn er telefonierte.
Dengler setzte den Kopfhörer auf.
»Schatz, wir müssen abwarten ...«, hörte er ihn sagen.
»Ich warte schon seit zwei Jahren. Ich will nicht mehr. Erst musste ich auf deine Frau Rücksicht nehmen. Das habe ich gemacht.
Jetzt soll ich Rücksicht darauf nehmen, dass sie tot ist. Das mache ich nicht. Das mache ich nicht.«
Die Frau weinte leise.
»Ich kann nicht mehr, Andreas, ich kann nicht mehr.«
Schniefen in der Leitung.
»Und ich will nicht mehr«, sagte sie.
»Schatz, ich meine, es ... Herrgott nochmal, Doris, es sind doch nur noch drei oder vier Wochen.«
Erneutes Aufschluchzen.
Dengler war hellwach. Da war es – ein Motiv.
Eilig überprüfte er die Anzeige auf dem Bildschirm. Die Software zeigte die Nummer der Frau an. 030 als Vorwahl – eine Berliner
Nummer. Dengler notierte sie auf einem Zettel. Und schrieb den Vornamen dahinter: Doris.
Er nahm die Kopfhörer ab und pfiff leise durch die Zähne. So war das also. Der Mann von Angelika Schöllkopf hatte eine Geliebte.
Wollte er deshalb seine Frau loswerden?
Da hörte er ein Geräusch auf dem Flur.
* * *
Leise stand er auf und ging zur Tür, öffnete sie vorsichtig. Nichts. Nun trat er auf den Flur hinaus. Ein kaum hörbares Geräusch
auf der Treppe. Dengler ging zwei Schritte nach rechts, und für einen Augenblick dachte er, sein Herz bliebe stehen.
Olga ging vorsichtig die Treppe hinauf. Auf Strümpfen. In der linken Hand hielt sie ihre Schuhe. Eine nie erlebte Bitterkeit
stieg in ihm auf.
Sie will nicht, dass ich merke, dass sie nach Hause kommt. Sie will mich nicht sehen.
Benommen ging er ihr nach und rief leise ihren Namen. Wie von einer Furie gehetzt drehte Olga sich um. Etwas Beißendes und
Zischendes fuhr ihm entgegen und blendete ihn.Stechender Schmerz in den Augen. Er wich zurück, sein Fuß trat ins Leere. Er stürzte. Mit dem Kopf schlug er hart gegen die
Wand und verlor das Bewusstsein.
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Münsteraner Wasser
Wenn Crommschröder an die letzten Jahre zurückdenkt, schmerzt ihn die Niederlage in Münster am meisten. Dieses Geschäft schien
absolut sicher, die Verhandlungen mit der Stadt waren erfolgreich abgeschlossen worden. Die VED würde die Wasserwerke übernehmen.
Allerdings gibt es ein kleines Problem, ein rein technisches Problem gewissermaßen, wie ihm von seinen Verhandlungspartnern
erklärt wird. Die defizitären Verkehrsbetriebe, die den öffentlichen Nahverkehr in Münster organisieren, sind Teil der Stadtwerke.
Crommschröder kommt auf die Idee, die Verkehrsbetriebe in einer eigenen GmbH auszugliedern und nur die Stadtwerke zu kaufen.
Damals hielt er das für eine geniale Idee. Heute weiß er, dass es ein großer Fehler war. Er hatte die Rechnung ohne die Münsteraner
Busfahrer gemacht.
Sie kennen nicht den gesamten Plan, aber sie liegen wohl richtig, wenn sie annehmen, dass Löhne und soziale Leistungen reduziert
werden sollen. Und
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