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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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Komponisten dieses Genres?«
    »Hm … Lord Kitchener?«, sagte Peter.
    »Lord Kitchener? Seien Sie nicht albern«, sagte Corinna und wurde rot, musste aber doch lachen.
    Sie spielten das Stück einmal ganz durch. »Ich vermute mal«, sagte Peter, »dass es sich so anhören soll, als könnte ich ums Verrecken nicht spielen.«
    »Genau. Sie haben es erfasst.« Irgendwie lief man bei Corinna immer Gefahr, selbst wieder zum elfjährigen Jungen zu werden und mit einem Buch einen Schlag auf den Kopf zu bekommen. Sie spielten das Stück noch mal, gleich viel selbstbewusster, dann stand Corinna für die nächste Zigarettenpause auf.
    »Kommt Ihnen das Hauptthema nicht auch irgendwie bekannt vor?«, sagte Peter.
    »Ja? Ich wüsste nicht, dass die Sachen von Gerald besonders bekannt wären.«
    »Nein, so meine ich es nicht. Ich glaube, es ist geklaut. Von Ravel, oder? Jedenfalls ist es etwas Französisches.«
    »Aha?«
    Peter ließ die Melodie noch mal anklingen, ganz schlicht. »Mein Gott, Sie haben recht«, sagte Corinna. »Das ist der Tombeau de Couperin .« Sie schubste ihn vom Stuhl, setzte sich wieder ans Klavier und spielte den Ravel, jedenfalls ein Stück daraus, Zigarette im Mund, wie ein Barpianist.
    »Da haben wir es!«
    »Gerald, der alte Gauner«, sagte Peter, eine kleine Frechheit, die sie ihm durchgehen ließ, obwohl sie gleich anfügte: »Wer weiß, vielleicht war auch Maurice der alte Gauner. Man müsste die Entstehungsjahre vergleichen. Nehmen wir uns für die letzten zehn Minuten lieber den Mozart vor, danach muss ich gehen, meinen Mann zum Kricketclub begleiten.«
    »In die Stanford Lane?« Von der Bank aus war es ein zehnminütiger Spaziergang. »Ich muss schon sagen, Sie verwöhnen Ihren Mann.«
    Corinna war ihm nicht böse deswegen, aber sie freute sich auch nicht darüber. Sie stieß die Trois Morceaux in ihre Notentasche und klappte das Heft mit der Mozart-Sonate auf. »Sie haben wohl noch nicht gehört, was mit ihm ist, oder?«, sagte sie.
    »Oh, nein, das tut mir leid … Ist etwas passiert?« Peter sah ihn zusammengeschlagen auf dem Marktplatz liegen.
    »Ah, dann wissen Sie es also nicht.« Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie Peter freisprechen, war aber noch immer leicht verärgert. »Die Leute sagen immer, es sei Agoraphobie, aber eigentlich trifft es das gar nicht.«
    »Oh …?«
    Sie setzte sich wieder. »Meinen Mann hat es im Krieg schlimm erwischt«, sagte sie mit ihrem Tremolo. »Für viele Menschen ist das sehr schwer zu verstehen.«
    »Ich habe ihn nur kurz gesprochen, als ich mein Konto eröffnete«, sagte Peter. »Er hätte nicht freundlicher sein können, nicht mal zu jemandem mit mehr als fünfundvierzig Pfund auf dem Konto.«
    Corinna überhörte die Schmeichelei. »Er ist ein brillanter Kopf«, sagte sie. »Eigentlich hätte er eine viel wichtigere Zweigstelle verdient, aber es fällt ihm vieles schwer, was für andere ganz normal ist.«
    »Das tut mir leid.«
    »Ich finde, die Leute sollten das wissen. Obwohl er es nicht haben kann, wenn man Ausnahmen für ihn macht. Wahrscheinlich sähe er es auch nicht gern, dass ich Ihnen das erzähle. Im Grunde kann er es nicht ertragen, allein zu sein.«
    »Ich verstehe.« Peter sah ihr ins Gesicht, unschlüssig, ob diese Erklärung nun eine neue Nähe darstellte oder nicht. Sie blies den letzten Rauch in den Raum und drückte die Zigarette im Papierkorb aus.
    »Er ist aus einem deutschen Kriegsgefangenenlager geflohen, und der Fluchttunnel ist eingestürzt.« Sie flog mit strahlenden Augen über die erste Notenzeile des Allegro-Eröffnungssatzes. »Kein Licht, keine Luft – das muss man sich mal vorstellen! Er dachte, er würde sterben, aber wurde gerade noch rechtzeitig gerettet.«
    »Wie furchtbar«, sagte Peter.
    »Und deswegen, mein Lieber«, sagte Corinna und runzelte jäh die Stirn, »muss ich ihn zum Kricketclub begleiten.« Mit einem stummen Schrei griff sie in die Tasten und spielte die ersten Takte.

5
    I ch fasse es nicht! Warum machen Sie das?«, sagte Jenny Ralph.
    »Ach, es macht mir nichts aus, ehrlich.«
    Sie stakste in ihren Stöckelschuhen über den Kiesweg, das Glas in der ausgestreckten Hand. »Die nutzen Sie schon wieder aus!«
    »Es ist nur, solange die Gäste eintreffen. Ich habe gerne etwas zu tun.« Paul stand am Tor und verfolgte einen großen schwarzen 3-Liter-Rover, der langsam wie ein Leichenwagen die kleine Straße entlangkroch, und sagte dann so munter wie möglich: »Ich bin ja hier sowieso ein

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