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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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träges Dingdong, das sich sogleich automatisch wiederholte, als nähme es die Ungeduld auf, die der Besucher vielleicht gehofft hatte zu verbergen, und sah in dem Riffelglas der Haustür sein Gesicht grausam entstellt; wie in Wellen schien er in ihr Leben zu schwappen. Es war Wilfrid Valance, der ihm öffnete. Er war genauso, wie Paul ihn in Erinnerung hatte, und dennoch, nach dreizehn Jahren des Herumwurstelns, wie man bei ihm vermuten durfte, erschreckend anders, ein breitgesichtiges Kind mit furchigen Wangen und einem einzelnen widerspenstigen, grauen Haarwipfel auf dem kahlen Schädel. »Guten Tag«, sagte Paul.
    »Haben Sie uns also doch gefunden«, sagte Wilfrid mit einem aufblitzenden Lächeln, wich jedoch seinem Blick aus. Paul hatte den Eindruck, dass sein Besuch wohl ein gewisses Ereignis darstellte.
    »Ja, gerade mal so …«, antwortete er nichtssagend und übergab ihm Mantel und Schal. Ein winziger Flur, gesäumt von weiteren Riffelglastüren, grell im Stil der Sechziger, der bereits düster deprimierend wirkte. »Und wie geht es Ihrer Mutter?« Für einen Moment spürte Paul eine Scheu, bis jetzt verdrängt, der Überlebenden, der Freundin des längst Verstorbenen gegenüberzutreten, und einen Anflug von Eifersucht bei dem Gedanken an die Freundschaft, die sie vielleicht hätten eingehen können, wenn er nicht Cecils Biograf gewesen wäre.
    »Ach, der geht es …« – Wilfrid schüttelte den Kopf und grinste. Paul erinnerte sich an diese stockende Art zu sprechen, die wie ein unterdrücktes Stottern klang, doch fehlte diesmal die zweite Hälfte des angefangenen Satzes.
    Das Wohnzimmer war stickig, aufgeheizt von einem elektrischen Doppelstrahler, einem Ungetüm in Gestalt eines Korbes mit glimmenden unechten Kohlen, die im Sonnenlicht matt leuchteten. Es roch stark nach verbranntem Staub. Paul trat mit einem fröhlichen »Guten Tag, Mrs Jacobs« ins Zimmer, entschlossen, sich den Schock über den Zustand des Raums auf keinen Fall anmerken zu lassen. Daphne saß schräg mit dem Rücken zu ihm in einem mit verschlissenem rosa Chintz bezogenen Ohrensessel, um sie herum verstreut lauter Krempel in einem sagenhaften Chaos, das man geflissentlich übersehen musste. Das Improvisierte hatte sich hier beängstigend zu einem Dauerzustand gewandelt, übereinandergestapelte Gegenstände waren zu Möbelstücken erklärt worden, mit Tischdecken bedeckt und darauf noch wacklige Lampen, Vasen und Figürchen abgestellt.
    »Jetzt weiß ich es wieder«, sagte sie, wandte ihren Kopf leicht zur Seite, sah Paul aber nicht an. »Wilfrid hat mich über Sie in Kenntnis gesetzt.«
    »Ach, ja …?« Er lachte verhalten; sie wollte ihn also wegen der Rezension gleich zur Rede stellen.
    »Sie sind nicht der Klavierspieler.«
    »Nein, Sie haben recht, das bin ich nicht«, sagte Paul.
    »Wie du weißt, Mummy, habe ich ein ausgezeichnetes Gedächtnis«, sagte Wilfrid, als müsste er immer noch Widerworte geben. »Der Klavierspieler war ein großer … hübscher Kerl.«
    »Ja, wie hieß er doch gleich? Ein bezaubernder junger Mann … und so talentiert …«
    Paul spielte mit, als versuchte er selbst angestrengt, sich zu erinnern. »Ach, meinen Sie Peter Rowe?«
    »Peter – ja. Wissen Sie, den mochte ich gern.«
    »Oh, ja, nun …«, murmelte Paul und trat vor sie hin, doch schien sie nicht gewillt, ihm die Hand zu geben. Sie trug einen dicken grauen Rock und eine Bluse unter einer abgetragenen Strickweste. Sie bedachte ihn mit einem berechnenden Blick, was aber vielleicht nur daran lag, dass sie schlecht sah und ihn nicht richtig erkannte; nach der ersten Verlegenheit erblickte er darin ein Risiko: Die kommenden Stunden würden nicht leicht werden.
    »Was wohl aus ihm geworden ist?«
    »Peter? Ach, ich glaube, dem geht es ganz gut«, war Pauls eher nichtssagende Antwort. Er stand eingeklemmt zwischen Heizung und einem niedrigen, mit Büchern und Zeitungen beladenen Couchtisch; es war fast wie eine kindische Mutprobe, denn seine Waden wurden immer heißer.
    »Er hat auf Corley Court unterrichtet, wie Sie wissen – er interessierte sich ganz besonders für das Haus.«
    »Ja, sehr«, sagte Wilfrid mit einem Kopfschütteln.
    »Ganz besonders. Er wollte die Kassettendecken und all das, was Dudley beseitigt hatte, wieder offenlegen.«
    »Das war während Ihrer Zeit dort, nicht?«, ermunterte Paul sie, als hätte das Interview bereits begonnen. Er drehte sich um, holte den Lehnstuhl heran, der ihrem Sessel gegenüberstand, und packte

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