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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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Leben – zum Beispiel erscheint bald die neue Biografie von Mark Gibbons.«
    »Ja, davon habe ich gehört«, sagte Paul. Karen hatte die Fahnen erhalten, ohne Register, doch beim flüchtigen Lesen hatten sich nur beiläufige Erwähnungen von Daphne gefunden; anscheinend hatte Daphne die Fahnen auch bekommen.
    »Der Verlag hat sie mir geschickt. Wilfrid liest sie mir vor, weil ich selbst nicht mehr lesen kann. Freilich hat die Autorin viele Fehler gemacht.«
    »Hat man Sie für das Buch zurate gezogen?«
    »Oh, ja. Die Frau hat mir geschrieben. Aber es steht ja bereits alles in meinem eigenen Buch – ich meine, alles Wichtige, was ich über Mark zu sagen habe, der ja ein sehr lieber Freund von mir war.«
    »Ja, ich weiß«, sagte Paul und sah sie verschmitzt an, doch ihr steifes Lächeln machte ihm umgehend klar, dass irgendwelche Geständnisse, sie habe ein Kind von ihm, nicht im Entferntesten zu erwarten waren. »Ich habe ihn auf Ihrem Siebzigsten kennengelernt.«
    Das ließ sie gelten. »Ach ja …? Dann wird er wohl da gewesen sein. Ich habe es vergessen – ist das nicht schrecklich?«, sagte sie und lachte noch einnehmender, als hätte sie soeben eine gute Ausrede als Antwort auf zukünftige Fragen entdeckt.
    »Mir werden hoffentlich keine Fehler unterlaufen«, sagte Paul. »Mit Ihrer Hilfe!« Er trank ein Schlückchen von dem schwachen Kaffee. Wenn Daphne der Biografin von Mark Gibbons geholfen hätte, dachte Paul, brauchte sie sich jetzt nicht über die Fehler zu beklagen. Diesem Dilemma des kontraproduktiven Widerstands sahen sich wahrscheinlich alle Biografen von Personen, die in der jüngeren Geschichte eine Rolle gespielt hatten, ausgesetzt. Erst erzählen einem die Leute nichts, und dann geben sie einem die Schuld, dass man es nicht gewusst hat – es sei denn, man hieß George Sawle, aus dem die Geheimnisse so hemmungslos sprudelten, dass sie beinahe nicht verwertbar waren. Daphne allerdings war eine alte Dame, und Paul mochte sie einigermaßen gern, deswegen sagte er behutsam: »Ich hatte allerdings den Eindruck, dass Sie ein paar Sachen richtigstellen wollten.«
    »Ja, ein paar Dinge schon – was zum Beispiel Two Acres betrifft. In dem Gedicht werde ich nur mit ›du‹ angesprochen. Und in Sebby Stokes Buch bin ich ›Miss S‹.«
    Paul lachte mitfühlend, halb aus Verlegenheit, wegen seines Verdachts, dass mit dem »du« in Wahrheit George gemeint war. »In Sir Dudleys Buch steht mehr über Sie drin.«
    »Ja … aber der putzt immer alle so herunter.«
    »Mich hat überrascht, wie wenig ihm zu Cecil einfällt.«
    »Ja, ich weiß …« Sie klang freundlich und trotzdem gelangweilt von Gesprächen über Schwarze Blumen .
    »Cecil war wohl der erste echte Schriftsteller, den Sie persönlich kennengelernt haben.«
    »Oh, ja. Wie ich in meinem Buch schreibe, war er der berühmteste Mensch, dem ich vor meiner Ehe begegnet bin, obwohl er so wahnsinnig berühmt damals noch gar nicht war. Er hatte hier und da einige Gedichte veröffentlicht, aber bis zu einem Buch war es noch nicht gekommen.«
    » Nachtwache erschien 1916, wenige Monate bevor er getötet wurde.«
    »Ja, gut möglich«, sagte Daphne. »Danach stieg er dann sehr rasch zu einer wichtigen Figur auf.«
    »Aber Sie hatten doch sicher einige Gedichte von ihm gelesen, bevor Sie ihn trafen.«
    »Ein, zwei vielleicht.«
    »Wenn man so will, war er für Sie also eine glamouröse Gestalt, noch ehe Sie ihn überhaupt zu Gesicht bekamen.«
    »Wir waren alle sehr neugierig auf ihn.«
    »Was haben Sie von seinem ersten Besuch auf Two Acres noch in Erinnerung? Erzählen Sie doch einfach mal.«
    Sie zog das Kinn an. »Tja, also, er kam an«, begann sie, als hätte sie entschieden, die Frage gründlich anzugehen.
    »Er kam um 17 Uhr 27 an«, sagte Paul.
    »Tatsächlich …? Ja.«
    »Ich glaube, es war Ihr Bruder … Er muss ihn hergebracht haben.«
    »Natürlich, wer sonst?«
    »Nein …! Ich meine, er hat ihn vom Bahnhof abgeholt.«
    »Gut möglich.«
    »Können Sie sich noch an den Moment erinnern, als Sie Cecil zum ersten Mal sahen?«
    »Das muss dann wohl an dem Tag gewesen sein.«
    »Fühlten Sie sich gleich zu ihm hingezogen?«
    »Er war eine sehr auffallende Erscheinung. Ich war erst sechzehn … ganz unschuldig … so wie wir alle damals … Jedenfalls hatte ich ganz bestimmt noch keinen Freund oder so. Ich war eine Leseratte, Liebesromane, hatte aber von Liebe keine Ahnung. Und Gedichte habe ich natürlich gelesen, Keats, und Tennyson haben wir alle

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