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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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bestätigung aufbewahrt wurden. Bei den Büchern war es wie auf dem Flohmarkt, manchmal fand sich darunter was Brauchbares – und entweder Daphne oder Wilfrid hatte die Angewohnheit, mit einem eingeklemmten Blatt Klopapier die Stelle im Stapel zu markieren, an der es sich befand. Die Lebensgemeinschaft von Mutter und Sohn – hier empfand Paul sie besonders bedrückend. Er ließ sich für eine Minute nieder und las die Titel auf den Buchrücken. Und tatsächlich, nur ein Stück über dem Fußboden – es war riskant, es hervorzuzie hen – lagen die Schwarzen Blumen im Originalschutzum schlag, angerissen und fleckig, aber immerhin die Erstausgabe von 1944, gedruckt auf billigem Papier und mit der Widmung: »Für Wilfrid, Dudley Valance.« Es war zu ungeschützt und zu wertvoll, um es hier liegen zu lassen, und Paul verstaute es so, dass er später leichter wieder drankam. Er wusch sich die Hände und betrachtete sich im Spiegel, um seinen Fortschritt abzuschätzen und sich ein paar aufmunternde Worte zuzusprechen, leicht irritiert von dem spöttischen Grinsen des jungen Mannes in dem Rahmen hinter ihm.
    Wilfrid, der Pauls kurze Abwesenheit geahnt haben musste, war zurückgekehrt und schlich weiter hinten im Wohnzimmer umher, anscheinend auf der Suche nach etwas. »Was ich Sie unbedingt fragen muss«, platzte Paul hervor, »ob Sie noch das Büchlein mit der handgeschriebenen Fassung von ›Two Acres‹ haben. Das würde ich zu gerne mal sehen.«
    »Da haben Sie leider kein Glück«, sagte Daphne.
    »Besitzen Sie es nicht mehr?«
    Sie runzelte beinahe verärgert die Stirn. »Wo ist es noch mal, Wilfrid?«
    »Ich glaube, in London, Mutter«, sagte Wilfrid und schaute in einen großen Flechtkorb, der auf einem Stapel alter Vorhänge stand. »Es soll fotografiert werden.«
    »Es wird fotografiert«, bestätigte sie. »Es ist außerordentlich empfindlich, kein Wunder, es ist siebzig Jahre alt, oder? Beinahe siebzig.«
    »Eine gute Idee«, sagte Paul. »Und wer macht das dort für Sie?«
    »Ich komme jetzt nicht auf seinen Namen, er bringt die neue Ausgabe von Cecils Gedichten heraus.«
    »Oh, dann sind sie ja in guten Händen«, sagte Paul.
    »Wie heißt er doch gleich?«
    »Ich glaube, Dr. Nigel Dupont.«
    »Genau. Er hat mir gesagt, er fühle sich Cecil ganz persönlich verbunden, weil er auf Corley zur Schule gegangen ist.«
    »Ach, wirklich?«
    »Sein Grabmal in der Kapelle hätte seine Neugier geweckt.«
    »Wie interessant«, sagte Paul, als ihm die niederschmetternde Erkenntnis dämmerte, dass Dupont höchstwahrscheinlich ein Schüler von Peter gewesen war. »Hat … äh … Nigel Sie auch aufgesucht?«
    »Nein, es war ganz einfach – wir haben es mit der Post geschickt.«
    »Per Einschreiben«, sagte Wilfrid.
    »Der biografische Aspekt ist ihm schnuppe«, sagte Daphne, »er sieht sich eher – wie soll ich sagen? – als Textredakteur.«
    »Ja, so kann man es nennen.«
    »Ihn interessieren die verschiedenen Ausgaben und solche Dinge …«
    »Faszinierend …« Paul rückte vor zu seinem Stuhl. Draußen lief allmählich der Nachmittag aus, und das späte Sonnenlicht machte die schmutzigen Fenster gänzlich undurchsichtig.
    »Es ist tatsächlich faszinierend. Er sagt, sie seien voller Fehler. Das war Sebby Stokes, er hat allem Anschein nach ziemlich darin herumgepfuscht. Vermutlich hat er gemeint, er würde sie verbessern.«
    »Hat er ja vielleicht auch!«
    Daphne wandte sich Wilfrid zu. »Warum gehst du mit Mr Bryant nicht mal ein bisschen im Dorf spazieren?«
    »Wir wissen doch gar nicht, ob er das will«, sagte Wilfrid.
    »Zur Farm laufen, das wird Ihnen gefallen.«
    Es war ein dreistes Ablenkungsmanöver von Daphne, um das Interview abzubrechen, doch Paul hatte sowieso auf eine Gelegenheit gehofft, Wilfrid allein zu sprechen. Sie zogen los, Paul in einem alten Paar ausgeleierter schwarzer Gummistiefel, die »früher Basil gehört haben«, wie Wilfrid ihm sagte, als sie auf die Straße traten.
    »Ach ja?« Der Gedanke, die Schuhe eines Toten zu tragen, missfiel Paul; man schlurfte in ihnen, und sie schlugen dumpf auf dem Straßenbelag auf. »Ich hätte nicht gedacht, dass er so groß war …« Seltsam, dass Daphne sie überhaupt behalten, sie beim Umzug mitgenommen hatte. Wilfrid war in ein Paar schlammbeschmierte Arbeitsschuhe geschlüpft, über dem Fleece trug er eine Dreivierteljacke. Abgesehen von wenigen grauen Haarbüscheln, war sein großer mönchischer Kopf kahl.
    »Es ist kein besonders attraktives,

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