Fremder in einer fremden Welt
musikalisches Opus oder eine philosophische Abhandlung. Es war eine Reihe von Emotionen, angeordnet in einer tragischen, logischen Notwendigkeit. Da es von einem menschlichen Wesen nur in dem Sinn begriffen werden konnte, wie ein von Geburt an Blinder sich einen Sonnenuntergang erklären läßt, kommt es nicht darauf an, in welche Kategorien man es einordnet. Der wichtige Punkt war, daß der Künstler sich durch einen Unfall dekarniert hatte, bevor sein Meisterwerk beendet war.
Eine unerwartete Dekarnierung war selten auf dem Mars; der marsianische Geschmack in solchen Angelegenheiten verlangte, daß ein Leben sich rundete und der körperliche Tod in dem angemessen ausgewählten Augenblick stattfand. Der Künstler war jedoch so in Gedanken gewesen, daß er vergaß, aus der Kälte hereinzukommen. Als seine Abwesenheit bemerkt wurde, war sein Körper kaum noch zum Verzehr geeignet. Er hatte seine Dekarnierung nicht bemerkt und war im Dichten seiner Folge fortgefahren.
Die marsianische Kunst wurde in zwei Kategorien eingeteilt. Die von lebenden Erwachsenen geschaffene war kraftvoll, oft radikal, und primitiv. Die Kunst der Alten war für gewöhnlich konservativ und extrem komplex, und man erwartete von ihr viel höher entwickelte Techniken. Beide Kategorien wurden getrennt beurteilt. Nach welchen Kriterien sollte dieses Opus beurteilt werben? Es schlug eine Brücke von der Materialisierung zur Dekarnierung. Die endgültige Form hatte es durch einen Alten bekommen - doch der Künstler hatte in seiner Versunkenheit, die Künstlern zu allen Zeiten eigen war, die Veränderung in seinem Status nicht bemerkt und fortgefahren zu arbeiten, als sei er im Fleisch. War es eine neue Kunstgattung? Konnten weitere Werke dieser Art durch eine überraschende Dekarnierung der Künstler, während sie bei der Arbeit waren, geschaffen werden? Die Alten hatten die aufregenden Möglichkeiten seit Jahrhunderten in meditativem Rapport diskutiert, und alle karnierten Marsianer warteten mit Spannung auf ihren Urteilsspruch.
Die Frage war von um so größerem Interesse, als es sich um religiöse Kunst (im terranischen Sinne) und um ein stark emotionales Werk handelte. Es beschrieb den Kontakt zwischen der marsianischen Rasse und den Bewohnern des fünften Planeten. Das Ereignis hatte vor langer Zeit stattgefunden, doch war es für die Marsianer immer noch gegenwärtig und wichtig in dem Sinne, wie ein einziger Tod durch Kreuzigung für die Menschen nach zwei terranischen Jahrtausenden immer noch gegenwärtig und wichtig war. Die marsianische Rasse war den Bewohnern des fünften Planeten begegnet, hatte sie in ihrer ganzen Fülle gegrokt und war tätig geworden. Asteroiden-Ruinen waren alles, was übrigblieb, ausgenommen, daß die Marsianer fortfuhren, die Wesen, die von ihnen vernichtet worden waren, zu lieben und zu preisen. Dieses neue Kunstwerk war einer von vielen Versuchen, die schöne Erfahrung in ihrer ganzen Vielschichtigkeit in einem einzigen Opus zu groken. Doch bevor es beurteilt werden konnte, war es notwendig, zu groken, wie es beurteilt werden sollte.
Es war ein hübsches Problem.
Auf dem dritten Planeten befaßte sich Valentin Michael Smith nicht mit dieser brennenden Frage; er hatte nie davon gehört. Sein marsianischer Hüter und die Wasserbrüder seines Hüters hatten ihn nicht mit Dingen verspottet, die er nicht begreifen konnte. Smith wußte von der Zerstörung des fünften Planeten ebenso, wie jeder menschliche Schuljunge von Troja und Plymouth Rock lernt, aber man hatte ihn nicht einer Kunst ausgesetzt, die zu groken er nicht fähig war. Seine Ausbildung war einzigartig gewesen, sehr viel umfassender als die seiner Nestlinge, sehr viel geringer als die eines Erwachsenen. Sein Hüter und die Ratgeber seines Hüters unter den Alten hatten ein flüchtiges Interesse daran genommen, zu sehen, wieviel und was dieser fremdrassige Nestling lernen konnte. Die Ergebnisse hatten sie mehr über die menschliche Rasse gelehrt, als diese Rasse bis jetzt über sich selbst gelernt hatte. Denn Smith hatte mühelos Dinge gegrokt, die noch kein anderes menschliches Wesen jemals erfaßt hatte.
Im Augenblick vergnügte sich Smith mit einer Leichtigkeit im Herzen, wie er sie seit Jahren nicht mehr erlebt hatte. Er hatte in Jubal einen neuen Wasserbruder gewonnen, er hatte viele neue Freunde erworben, er machte köstliche neue Erfahrungen in solchen kaleidoskopischen Mengen, daß er keine Zeit fand, sie zu groken. Er konnte sie nur in seinem
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