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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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lag ein
rechteckig geschliffener Feuerstein, blutrot mit orangefarbenen und
gelben Flammen im Innern. Seine glänzenden Facetten entsprachen
den Flächen in der rechteckigen Aussparung.
    Noch eine Chance. Man gab ihr noch eine zweite Chance, sich
richtig zu entscheiden. Den Edelstein behalten oder in die Aussparung
stecken, ihn fortgeben und vielleicht eingelassen werden. Woran lag
ihr mehr – R’Frow zu betreten oder den Feuerstein zu
behalten?
    Hier waren Delysier gewesen, hatten sich den erstbesten Edelstein
genommen, sich hingesetzt und nur darauf gewartet, daß sich das
Tor wieder öffnete. Wer immer in R’Frow zu sagen hatte,
wußte er davon? Er mußte; Edelsteine verschwanden, und
Delysier gingen wieder aus dem Tor. Woher hatte man so viele
Edelsteine? Wer immer dahintersteckte, er war reich, mächtig,
geheimnisvoll und fähig, so etwas zu bauen wie die Graue
Mauer und diese Wand hier – und er wollte ihr, Ayrid, die
Wahl lassen. Ayrid verzog den Mund. Das Stadtgericht hatte ihr keine
Wahl gelassen.
    Sie schob den Feuerstein in die Aussparung.
    Er verschwand auf die gleiche Weise wie der Krigatt. Die
Vertiefung verschwand ebenfalls, und das Bord zog sich lautlos
zurück und dehnte sich gleichzeitig nach allen Seiten, bis es
nur noch glatte Wand gab, als streiche eine unsichtbare Hand ein Tuch
glatt.
    Hinter Ayrid ertönte ein Klappern und Klirren, und sie
wirbelte herum.
    In einer Seitenwand hatte sich knapp über dem Boden ein
waagerechter Spalt aufgetan, und Gegenstände purzelten ihr
entgegen. Ayrid schrie auf und sprang zurück, doch fast im
selben Augenblick stockte der Strom von Dingen, der Spalt verschwand
und die kullernden Sachen kamen zur Ruhe und blieben liegen. Ayrid
pochte das Herz bis zum Hals, sie starrte die Gegenstände an und
vermied es tunlichst, mit dem Rücken irgendwo anzustoßen.
Doch die Wände regten sich nicht mehr, und schließlich
kniete sie sich hin, um aus nächster Nähe zu betrachten,
was die Wand ausgespuckt hatte.
    Da war ein Messer aus demselben grauen Material wie die
Wände. Doch, nein, etwas war anders – wenn sie es
schräg von der Seite besah, dann war zu erkennen, daß
diese klare Schicht fehlte. Sie konnte das Metall des Dolches direkt
berühren. Sie spürte kein Prickeln. Es war kühl und
glatt und von tödlicher Schärfe.
    Jeder, der R’Frow betritt, bekommt neue Waffen
geschenkt…
    Da waren zwei zylindrische Stäbe aus dunklerem Metall,
schwarz beinah, und zehn oder zwölf aus verschiedenen anderen
Stoffen. Verwirrt starrte Ayrid auf die Stäbe. Was sollte sie
damit anfangen?
    Sie hob einen nach dem anderen vom Boden auf. Einer war aus Holz,
einer aus Stein, einer aus einer kalkartigen Substanz, die Puder an
ihren Fingern hinterließ. Ein Stab war aus Glas, und den
betrachtete sie besonders aufmerksam, wobei sie über die
makellose Reinheit staunte, die der unbekannte Glasmacher erzielt
hatte. Sie kannte kein Verfahren, das eine solche Präzision
zuließ – keine Blastechnik, kein Wachsausschmelzverfahren,
keine Kerngußmethode. Ein anderer Stab war aus einer seltsam
schlüpfrigen reinweißen Substanz, wie sie Ayrid noch nie
unter die Augen gekommen war. Die übrigen sieben waren aus
unterschiedlichen Metallen, darunter ein paar Metalle, die ihres
Wissens in Delysia keine Verwendung fanden.
    Was erwartete man von ihr? Was sollte sie mit den Stäben
anfangen?
    Wenn sie sich nun einfach hinsetzte und die Hände in den
Schoß legte, bis sich das Tor wieder auflöste und sie nach
draußen konnte…
    Ayrid stöhnte leise auf. Wenn sie einfach sitzenblieb und
abwartete, dann bekam sie dafür das Lager, die Bril und den
unausstehlichen Mann, der um ihr Los gewinselt hatte. Die Habrins,
die sie von Delysia hatte mitnehmen dürfen, würden nicht
lange reichen. Was dann? Niemand hier an diesem schnöden Ende
der Welt würde Glassachen kaufen, selbst wenn es ihr gelang,
einen Glasofen zu bauen und aufzutreiben, was sie sonst noch
brauchte. Was also? Köchin werden, betteln, sich als Hure
verdingen, tagaus, tagein nur eins im Sinn – wie sie an die
Edelsteine hinter der Mauer kam, mit denen sie nicht nach Delysia
durfte, um sie dort zu verkaufen?
    Sie probierte den Dolch an jedem einzelnen Stab aus. Wie nicht
anders zu erwarten war, ließ sich der Holzstab einkerben, auch
der aus dem kalkartigen Material. Der aus Stein und ein paar aus
Metall ließen sich nur ankratzen. Und die restlichen trugen
keinerlei Spuren davon. Sie kam sich wie ein Kind vor, wie Embri, die
auf

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