Fremdes Licht
Bibliothekshirns halten. Man
würde den Menschen Wissen über ihren eigenen Körper
vermitteln, einiges von dem, was das Bibliothekshirn aus Obduktion
und Dekontamination gelernt hatte. Der Mensch, der das Symbol der
Doppelhelix trug, würde schon die Intelligentesten bei der
Stange halten. Und die schwangeren Frauen, die es inzwischen gab,
würden dasselbe mit dem Rest der Menschen tun. Denn welche
Spezies war nicht an der Gesundheit ihrer Nachkommen interessiert?
Wissen, Heilkunst, Waffen – man würde alles versuchen,
damit die Menschen kooperativ blieben, solange, bis der Zentrale
Widerspruch gelöst war.
Plötzlich, nach Stunden betörender Einhelligkeit, roch
es nach Angst. Aber niemand brachte den Zentralen Widerspruch zur Sprache. Der einzige Wandschirm, der eingeschaltet war,
zeigte das statische Bild, das die Sonde übertrug:
Ein uralter, bärtiger Mensch, und auf seiner zerrissenen
Uniform das Symbol aus Mondsichel, Sternen und Doppelhelix. Erstarrt
in der unberechenbaren Stasis, die das gestrandete Menschenschiff
immer wieder wie ein Netz über die Insel warf. Aufgesparte
Vergangenheit.
Drei samtweich grollende Stimmen wandten sich einhellig an das
Bibliothekshirn. Der Wandschirm erblindete. Die Paarung zur Einheit
war süß und durfte durch nichts gestört werden.
Das Gefäß für die Säfte wurde hervorgeholt,
die Temperatur auf fünfzehn Einheiten hochgefahren; die Trance
begann.
Und die Paarung roch süßer als je zuvor.
19
»Regen«, sagte Talot. »Es riecht nach
Regen.«
»In R’Frow gibt es keinen Regen«, sagte Jehanna
stirnrunzelnd, blickte aber trotzdem mit zusammengekniffenen Augen
nach oben.
»Moment mal, meine Sandale ist los.« Talot bückte
sich, und Jehanna hielt instinktiv Wache, obwohl sie bereits
innerhalb der bewachten Zone waren. Jehanna trug einen leblosen Lorus
in der Hand; ein anderer hing an Talots Gürtel. Die Jagd in der
Wildnis von R’Frow war erfolgreich gewesen, und das trotz der
stickigen Luft, die von einem Himmel herunterdräute, der keiner
war. Sie waren dreckverschmiert und schweißnaß.
»Ab ins Badehaus«, sagte Talot.
»Horch.«
Talot erstarrte mitten in der Bewegung, gespannt wie ein Bogen.
Doch was zu hören war, war das Trommeln von Wasser auf den
Blättern der Bäume, ein fast vergessenes Geräusch, ein
sanftes Prasseln, fern erst und dann ganz nah, als die Regentropfen
auf den Schultern zerplatzten und in die emporgewandten Gesichter
klatschten.
»Damit die Bäume sauber werden«, sagte Talot
vergnügt. »Die Geds lassen es regnen, damit die Bäume
sauber werden. Da ist mehr Dreck drauf als Fäule an einer Hure.
Sieh nur – was für ein Regen!«
»Ich wünschte, es würde donnern«, sagte
Jehanna plötzlich. »Ich liebe Donner.«
Talot lachte. »Das hätte ich mir denken können,
daß du Donner magst.«
Jehanna grinste sie an. »Und was, mein Herzchen, hätte
dich auf den Gedanken gebracht?«
»Na ja – du eben.«
Jehanna knuffte sie spielerisch. Talot grapschte nach Jehannas
Hand, und sie marschierten in die Richtung, wo die Bäder
für die Kriegerinnen lagen. Für SaSa, die im Dickicht
hockte, wurden die Stimmen immer leiser, bis sie nicht mehr zu
hören waren. Sie wrang ihren Tebel aus und streifte ihn
über.
Sie hatte in einem der Flüsse gebadet, die überall in
R’Frow entsprangen und mehr oder weniger weit flossen, ehe sie
wieder im Boden verschwanden. Sie hütete sich davor, die
Bäder hinter der Bürgerhalle zu benutzen. Jehanna und Talot
waren vorbeigekommen, als sie gerade aus dem verborgenen Knie des
Flusses gestiegen war.
Obgleich die beiden außer Sichtweite waren, wartete SaSa
noch. Als sie sicher sein konnte, daß sich niemand sonst
zwischen Dickicht und Halle herumtrieb, huschte sie durch den
leichten Regen, hielt sich so dicht wie möglich bei den
Bäumen und schlüpfte in die Halle. Zwei miteinander
schwatzende Bürgerinnen erklommen eben die Leiter. SaSa heftete
sich an ihre Fersen. Aus den Säumen der Tebel tropfte ihr der
Regen auf den Kopf, aber die Frauen schenkten ihr keine Beachtung.
Sie huschte in den Hurenflur, auf dem Jamila, Falonal und sie
einquartiert waren, rannte zu ihrer Tür und stieß, noch
ehe sich eine andere öffnen konnte, den Daumen in das
Schloß. Sie schloß die Tür hinter sich und atmete
auf.
In Sicherheit.
Die warme, dunkle Stille begrüßte sie mit schlappenden,
kleinen Wellen. SaSa drückte nicht das Licht an. Statt dessen
saß sie in der dunklen Stille und genoß die Ruhe.
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