Fremdes Licht
bekennen. »Ihr wollt wissen, ob es
einen Zusammenhang gibt zwischen meinem Besuch in der
Unterrichtshalle und der Tatsache, daß ich zu den Blauroten
gehöre, habe ich recht?«
»Ja.«
»Es gibt ihn nicht. Ich wollte weder an irgendwelchen
obskuren Zeremonien teilnehmen noch an irgendwelchen Heiler-Ritualen.
Ich habe dort weder Blut getrunken noch einen Menschen
zerlegt.«
Er war zu weit gegangen. Das hatte sie nicht verdient. Ihre
Neugier hatte nicht mehr als einen Anflug von Abscheu verraten, und
Dahar rechnete es sich als Schwäche an, daß er sich nicht
längst mit dieser Reaktion abgefunden hatte. Belasir war eine
fähige Oberkommandierende – das genügte. Von ihr
Verständnis zu erwarten für etwas, das er selbst nicht
verstand, war egoistisch und dumm.
Er sagte: »Und wenn ich bei einer Hure gewesen wäre,
hätte ich dadurch die Schwester retten können?«
»Ich mache dich nicht für ihren Tod verantwortlich. Aber
ich erwarte, daß du dich voll und ganz für Jela einsetzt
– ich erwarte, daß du dich durch nichts und niemanden
davon ablenken läßt. Alles für das Wohl von Jela und
nichts, was deinem Ansehen schadet! Wenn ich wüßte, ich
könnte dir das einpeitschen, ich würde es tun.«
Das war eine scharfe Zurechtweisung. Dahar schoß das Blut
ins Gesicht.
Belasir kehrte ihm den Rücken zu und blieb eine ganze Weile
so dastehen und starrte durch die offene Tür nach draußen.
Sie schien nachzudenken. Die Tür blieb immer offen, wenn ein
Bruder im Kommandoraum war. Belasir hatte breite Schultern. Unter dem
Knoten aus graumelierten Haarflechten vernetzten sich kräftige
Nackenmuskeln. Er versuchte sich vorzustellen, wie sie in jungen
Jahren ausgesehen hatte. Dieser Schamlosigkeit und dem Anblick ihres
unbewegten Rückens entstieg plötzlich das Bild eines
anderen Zimmers und eines anderen Vorgesetzten…
»Aber wie kommt die Doppelhelix in den Körper
hinein?« fragte der kleine Junge. Der Alte sah ihn
verächtlich an. Er trug das blaurote Abbild auf der Schulter,
und sein Schädel war kahlrasiert, bis auf den schmalen
Haarstreif der Meisterkrieger. Widerwillig musterte er Dahars jungen,
kräftigen Körper.
»Das ist ein großes Geheimnis. Sie kommt bei der
Geburt und geht beim Tod. Wir Kriegerpriester tragen ihr Bild auf der
Schulter, weil wir beim Heilen verhindern wollen, daß sie den
Körper verläßt. Mehr brauchst du nicht zu wissen,
Junge.«
Der Junge spähte durch die grob geschliffene Linse in
seiner Hand. »Das Blut sieht nur größer aus. Sonst
nichts.«
»Weil es nur Blut ist. Im Blut ist keine Helix. Die Helix bewohnt nur einen einzigen Teil des Körpers, das
sogenannte Zentrum des Lebens. Alles andere ist für das
Schlachtfeld bestimmt oder wartet auf den Tod.«
»Aber wo ist diese Stelle im Körper?« wollte der
Junge wissen.
»Das brauchst du noch nicht zu wissen.«
Der Junge dachte über den Meister nach. »Du
weißt es nicht. Du weißt nicht, wo die Stelle
ist.«
»Werd nicht frech, Junge!«
»Aber du weißt es nicht, hab ich recht? Wir
können sie nicht finden. Deshalb machen wir auch nicht so viele
Leute gesund. Deshalb mußte meine Mutter sterben.« Er sah
den Alten herausfordernd an. Seine Augen blieben trocken, als der
Alte zur Rute griff.
»Respektlosigkeit gegen einen Kriegerpriester muß
bestraft werden. Das trifft auch für dich zu, mein
Junge.«
»Du hättest besser nach ihrer Helix gesucht, als sie
noch lebte«, sagte der Junge kalt; kindlich daran waren allein
die Worte. »Du hättest ihr irgendwie eine andere
Doppelhelix machen müssen, dann wäre sie noch am Leben. Du
hast sie sterben lassen!«
Die Rute sauste herunter. Dahar ertrug die Schläge, ohne
einen Laut von sich zu geben; daß der Junge nicht losschrie,
brachte den alten Meisterkrieger zur Raserei, und er hinterließ
blutige Spuren auf Dahars Gesäß und Beinen. Als der Alte
außer Atem war und nicht mehr konnte, drehte sich der Junge um
und sah ihm in die Augen. Er sah ihm lange so in die Augen. Schleim
strömte ihm aus der Nase, und Blut von der Unterlippe, die er
fast durchgebissen hatte, um nicht loszubrüllen. Als er wieder
sprechen konnte, tat er es.
»Du kannst die Doppelhelix nicht finden. Du bist nicht gut
genug. Ich – hörst du – ich werde sie finden! Wenn ich
Kriegerpriester bin, werde ich sie finden.«
Er stützte sich gegen die nächste Tracht Prügel
ab, wohlwissend, daß sie erst zu Ende war, wenn er
ohnmächtig am Boden lag.
»…dir nicht verbieten, wieder zur
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