French, Tana
du nicht. Du kannst
nur eine einzige Entscheidung treffen, und zwar, ob du erst nach ein paar
kräftigen Schlägen ins Gesicht antworten willst oder schon vorher.«
Sie
versuchte, ihren Kopf von mir weg nach unten zu ziehen, aber ich hatte eine
Hand um ihr Kinn und zwang ihr Gesicht nach oben. »Und ehe du dich
entscheidest, solltest du dir noch eine Frage stellen: Wie schwer wäre es für
mich, wenn ich ausraste, dir den Hals umzudrehen wie einem Huhn? Hier halten
mich sowieso schon alle für Hannibal Lecter. Was zum Teufel hab ich noch zu verlieren?«
Vielleicht war sie inzwischen längst bereit zu reden, aber ich gab ihr keine
Gelegenheit dazu. »Dein Freund Detective Kennedy ist nicht unbedingt mein
größter Fan, aber er ist ein Bulle, genau wie ich. Meinst du nicht, er hält zu
seinen Leuten, falls man dich halbtotgeprügelt auffindet oder, Gott bewahre,
sogar mausetot? Oder denkst du ernsthaft, ihm liegt mehr an einer saublöden
grottenhässlichen Schlampe, deren Leben keinem Schwein auch nur einen
Pfifferling wert war? Er würde dich, ohne mit der Wimper zu zucken,
abschreiben, Imelda. Wie man das eben mit einem Stück Scheiße wie dir so
macht.«
Ich
erkannte den Ausdruck in ihrem Gesicht, das schlaffe Kinn, die blicklosen
dunklen Augen, zu weit aufgerissen, um noch blinzeln zu können. Ich hatte ihn
hundertmal bei meiner Ma gesehen, in der Sekunde, in der sie begriff, dass sie
geschlagen werden würde. Es war mir egal. Die Vorstellung, wie mein Handrücken
auf Imeldas Mund krachte, raubte mir fast den Atem, so sehr wünschte ich es
mir. »Du hattest keine Hemmungen, deine hässliche Klappe für jeden anderen
aufzumachen, der dich gefragt hat. Und jetzt wirst du sie für mich aufmachen,
bei Gott. Wem hast du von mir und Rosie erzählt? Wem, Imelda? Deiner Mutter,
diesem Flittchen? Wem verdammt —«
Ich konnte
förmlich hören, wie sie es mir entgegenschleuderte wie fette schleimige
Giftbrocken: deinem versoffenen Dad, deinem widerlichen, dreckigen
Hurenbock von Dad, und ich war bereit und gewappnet
dafür, als ihr Mund sich weit und rot öffnete und sie mir fast ins Gesicht
brüllte: »Ich hab's deinem Bruder erzählt!«
»Schwachsinn,
du verlogenes Miststück. Den Scheiß hast du Rocky Kennedy erzählt, und der
hat's geglaubt, aber seh ich aus, als wäre ich so blöd wie er? Hä?«
»Nicht
Kevin, du blödes Arschloch, was hatte ich denn mit Kevin zu tun? Shay. Ich
hab's Shay erzählt.«
Alle
Geräusche im Raum erstarben, eine gewaltige vollkommene Stille, als würde es
schneien, als hätte es in der ganzen Welt noch nie irgendeinen Laut gegeben.
Nach einer Weile, von der ich nicht weiß, wie lange sie währte, merkte ich,
dass ich wieder in dem Sessel saß und dass ich am ganzen Körper taub war, als
hätte mein Blut aufgehört zu pulsieren. Noch einige Zeit später registrierte
ich, dass in der Etage über uns eine Waschmaschine lief. Imelda hatte sich tief
in die Sofapolster gedrückt. Das Entsetzen auf ihrem Gesicht verriet mir, wie
meines aussehen musste.
Ich sagte:
»Was hast du ihm erzählt?«
»Francis
... Es tut mir leid, ja? Ich hab nicht gedacht -«
»Was hast
du ihm erzählt, Imelda?«
»Bloß ...
das mit dir und Rosie. Dass ihr weg wolltet.«
»Wann hast
du ihm das erzählt?«
»Am
Samstagabend, im Pub. An dem Abend, ehe ihr abhauen wolltet. Ich hab gedacht,
was kann das jetzt noch schaden, es war zu spät, als dass euch noch irgendwer
hätte aufhalten können.«
Drei
Mädchen ans Geländer gelehnt, Haare schüttelnd, schimmernd und unruhig wie
wilde Fohlen, tänzelnd am Beginn eines Alles-ist-möglich-Abends. Und
anscheinend war vieles nicht nur möglich geblieben. Ich sagte: »Wenn ich noch
eine beschissene Entschuldigung von dir höre, tret ich eure geklaute Glotze
ein.« Imelda verstummte. Ich sagte: »Hast du ihm gesagt, wann wir loswollten?«
Ein
schnelles abgehacktes Nicken.
»Und wo du
den Koffer versteckt hattest?«
»Ja. Nicht
in welchem Zimmer, bloß ... in Nummer sechzehn.«
Das
schmutzig weiße Winterlicht, das durch die Gardinen fiel, war grausam zu ihr.
Zusammengesunken in einer Sofaecke in diesem überhitzten Zimmer, das nach
Bratfett und Zigaretten und Abfall stank, sah sie aus wie ein Klappergestell,
das von schlaffer grauer Haut zusammengehalten wurde. Nichts, was diese Frau
sich je gewünscht haben mochte, war das wert, was sie weggeworfen hatte. Ich
sagte: »Warum, Imelda? Herrgott, warum?«
Sie zuckte
die Achseln. Das Begreifen setzte langsam ein,
Weitere Kostenlose Bücher