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Fressen ihn die Raben - Alpen Krimi

Titel: Fressen ihn die Raben - Alpen Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Prolibris Verlag Rolf Wagner
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da nicht mehr sprechen.

    Nachmittags, die Sonne hatte begonnen, an Kraft zu verlieren und die grauen Felsen in weiches Licht zu tauchen, hielt er an einer Weggabelung an. Die letzte Pause hatte er am Ingolstädter-Haus gemacht, das nun hin ter ihm lag. Links davon befand sich die Hirsch wand, geradeaus ging es in scharfen Serpentinen hinunter in ein kleines Tal voller Kiefern und Lärchen. Das erste richtige Grün, fand er, nachdem er den Funtensee heute morgen verlassen hatte. Rechts wies ein Schild auf den Eichstädter Weg in Richtung des Riemannhauses. Dieser Weg böte sich, dachte er verächtlich, als Abkürzung an. Gedankenverloren trank er einen Schluck Wasser aus der Thermoskanne, wischte sich den Schweiß von der Stirn und füllte den Mund mit einer Handvoll Korinthen. Keine Sultaninen, die waren ihm zu weich und groß. Die kleinen, härteren Trockenbeeren lagen ihm mehr.
    Ein polternder Stein von links aus der Hirschwand schreckte ihn auf. Mit zu Schlitzen verengten Augen tastete er die Steinwand im goldenen Licht ab. Er sah nichts, was sich bewegte. Lauernd blieb er stehen und wartete. Wenn es ein Tier war, dachte er, wird es weiterwollen. Nur Geduld. Sein Blick arbeitete sich langsam vom Fuß der Wand hoch, als von oben etwas Größeres in sein Gesichtfeld fiel. Es rollte über die Schotter zu Füßen des Steilfelsens, klang dabei aber nicht so klar und scharf wie ein aufschlagender Stein. Eher weich und dumpf, war sein Gedanke.
    Neugierig geworden, überkletterte er einige Felsen und schlängelte sich durch Gestrüpp. Er wollte zum Fuß der Hirschwand gelangen. Im Schotterfeld weit vor sich sah er etwas liegen. Seine Schritte verlangsamten sich und knirschten auf den Steinen. Im Näherkommen versuchte er einzuordnen, was er sah, und dachte an ein Vogelnest, eine Graskugel und ja sogar an Elefantenkot. Er rief seine Gedanken zur Ordnung, trat nahe heran, und dann war es klar. Er hatte auf den behaarten Hinterkopf eines Menschen ge sehen. Zu seinen Füßen lag der Kopf, nur der Kopf, eines Mannes. Das war deutlich am Kinn- und Schnauzbart zu erkennen. Zu seiner eigenen Überraschung fehlte ihm jede Art von Furcht, Erschrecken oder Ekel. Stattdessen erwachte sein Forschergeist. Er fühlte sich wie zu Beginn seines Studiums, das im diplomierten Biologielehrer seinen Endpunkt gefunden hatte.
    Im Hinknien fiel sein Blick auf den durchtrennten Hals und die großen Wunden im Gesicht des Mannes. Etwas Ausdrucksstarkes konnte er darin zu seiner Enttäuschung nicht erkennen, weder Schrecken noch Angst. Die Augen waren geschlossen. Der Lehrer meinte an den Rändern der Verletzungen ihre Frische zu erkennen, sah Furchen und Fasern im Fleisch. Dann erkannte er Fraßspuren. Ruckartig blickte er nach oben in die Wand. Ein Luchs, dachte er. Doch, nein, Luchse sind keine Aasfresser. Dann ein Fuchs. Ja, das müsste es sein. Er nahm den vertrockneten Ast einer Alpenrose und schob den Kopf, der seinem Druck wie eine schwere Kugel nachgab, hin und her. Das Bild eines Jungen, der mit einem Stöckchen einen überfahrenen Frosch untersucht.
    Er sah auf die Uhr, die Zeit drängte. Immerhin hatte er noch eini ge Kilometer bis zum Koglerhaus zu laufen. Aus seinem kleinen Rucksack, der nur mit dem Allernotwendigsten für eine Tages­tour bestückt war, nahm er einen der Müllbeutel, die der Alpenverein überall verteilte. Schließlich sollte der Wanderer seinen Dreck selbst entsorgen. Er zog den leeren Beutel auf links wie einen Handschuh und griff in die Haare des Toten, an denen Blut, Erde und Steinsplitter klebten. Als er die Tüte über dem Schädel sorgfältig zuzog, merkte er das Gewicht. Der wiegt bestimmt fünf Kilo, dachte er, und barg seinen Fund im Rucksack. Der Gedanke, das Leichenteil könnte mit seinen Utensilien in Kontakt kommen, beunruhigte ihn. Dann hastete er weiter, bergab dem Koglerhaus zu.
    Im schnellen Gehen fiel es ihm ein. Den Kopf, das heißt den da zu passenden Mann hatte er schon mal gesehen. War das nicht dieser unangenehme Kerl gewesen, der die Wirtin vor Tagen wegen des Frühstücks so angegangen war? Der Typ hatte auch was ge gen sie schreiben wollen. Das blieb ihm wohl jetzt verwehrt, dach te der Lehrer und grinste. Die Kopfnote im Betragen war in diesem Fall eindeutig negativ ausgefallen.
    Während der Heilbronner das Wäldchen unterhalb der Hirsch­ wand durchschritt und sich dem Viehkogel und damit dem Kogler­ haus näherte, musste er grinsen.
    Das würde für die Wirtin ein unerwartetes

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