Fressen ihn die Raben - Alpen Krimi
des Riemannhauses zum Ingolstädter-Haus, lag noch weiter auf ausländischem Grund. Aber diese Art grenzüberschreitender Ermittlungen ließ sich in so unwegsamem Gebiet wie dem Steinernen Meer nicht vermeiden und stellte kein Problem dar. Ganz im Gegenteil. Beide Nationen, die bayerische wie die österreichische, legten großen Wert auf die gemeinsame Aufrechterhaltung von Bergsicherheit und Kriminalitätsbekämpfung. Auch wenn Kapitalverbrechen in den Grenzbergen die totale Ausnah me waren.
Zuerst flogen die Bayern das Ingolstädter-Haus an. Gegen den Fluglärm schrie der Hundeführer Schartauer seine Vorfreude auf den selbstgemachten Quarkstrudel zu. Als ausgewiesener Kenner der Gegend wusste er, wo es schmeckte. Schartauer erwiderte nichts und nickte nur in das Getöse des Motors hinein, der die Kommunikation in der Kanzel erschwerte. Bald machte der Pilot Zeichen und deutete rechts vor sich auf einen lang gezogenen, ansteigenden Höhenrücken, der größtenteils grasbewachsen war. Zur einen Seite fiel der Berg sehr steil ab. Das war der Kleine Hundstod, der Vorberg zu seinem größeren Namensvetter. Ihm zu Füßen lag das Ingolstädter-Haus in der Sonne. Südwestlich erstreckte sich das Steinerne Meer.
Der Helikopter setzte unterhalb des Hauses auf, und der Ermittler machte sich ans Werk. Vom Strudel war keine Rede mehr. Zuerst sichtete er das Hüttenbuch, fotografierte die letzten Seiten und befragte den Wirt, die Küchenhilfen und die wenigen anwesenden Gäste. Er wollte wissen, ob sie sich an jemanden erinnern konnten, der ein jagdgrünes Hemd getragen hatte und wohl von der Statur her eher kräftig gebaut war. Der Hausherr meinte nur, heutzutage trügen die Wanderer doch unisono Funktionskleidung. Ein so traditionelles wie spießiges Jagdhemd habe er schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Nein, das wär ihm aufgefallen. Seine Gäste waren, wenn auch nicht so kulturkritisch, im Ergebnis genauso verneinend gewesen. Hinweise auf den Besitzer der Hand und des Arms konnte Schartauer im Ingolstädter-Haus al so nicht erlangen.
»Auf zum Riemannhaus!«, drängte er den Piloten, der sich ge rade mit einem Skiwasser auf der großen Holzterrasse niedergelassen hatte. Der Mann seufzte, pickte die letzten Krümel von seinem Kuchenteller und trank sein Glas in tiefen Zügen aus. Er wusste, dass es dort schwieriger sein würde, einen Landeplatz zu finden. Aber als Angehöriger der bayerischen Flugstaffel sah er das als Herausforderung.
Das Riemannhaus lag dramatisch an den spitzkegeligen Sonnenstein geschmiegt und schien sich vor den Stürmen des kommenden Winters wegducken zu wollen. Der Fußweg vom Landeplatz zum Haus war ein längerer Marsch gewesen, denn eine geeigne te, ebene Stelle hatte sich nicht so schnell herzaubern lassen. Endlich war Schartauer samt Hundeführergespann eingetroffen und hatte erklärt, dass man hier in den Bergen menschliche, abgetrennte Gliedmaßen gefunden habe und nun einem möglichen Kapitalverbrechen auf der Spur sei.
Die Wirtsleute verstanden nicht, warum man so einen Aufwand mit Hubschrauber und Polizeihund veranstaltete. In ihrer Umgebung waren die Menschen wacker und anständig, Gedanken an jemanden, der Menschen zerteilte, schienen da völlig widersinnig. Vielleicht schützten auch die bunten Gebetsfahnen, die der nepalesische Koch zwischen den Felsen aufgehängt hatte, sie vor derartigem Denken. Schartauers Nachfragen jedenfalls verliefen ebenso unbefriedigend wie schon im Haus zuvor. Wenigstens, so tröstete der Hundeführer seinen Kollegen, wüssten jetzt die Wir te Bescheid und würden sich melden, sollte ihnen etwas auffallen. Das seien sozusagen ein paar Augen mehr hier oben. Immerhin.
Die Sonne hatte an Kraft verloren und die Dämmerung nahte. Im kalten Wind roch Schartauer die Kalkfelsen. Er fröstelte und schloss die Steppjacke über seinem Bauch.
Zurück im Hubschrauber sah er hinter seinen Sitz. Da lagen zwei Tüten mit je einem Köperteil. Beim Vergleich von Hand und Arm würde sich zeigen, ob sie vom selben Körper stammten. Gleiches galt für die abgekratzten Proben in den Tütchen. Der Geruch der toten Gliedmaßen erfüllte die enge Glaskanzel. Nur gut, dass die Dinger nicht noch älter sind, dachte der Ermittler. Ich hoffe, dass wir etwas über die Identität des Toten erfahren. Vielleicht trägt auch der Ring an der gefundenen Hand dazu bei.
Der Pilot schaltete den Motor ein, heiser begannen sich die Ro tor blätter zu drehen. In einer Querbewegung hob der
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