Frettnapf: Roman
tun hat, als schlechte Witzchen zu kapieren.
» War ein Witz.«
» Ach so. Und Jessi?«
» Der geht’s prima.«
Dass ich gerade störe und in ihren Augen auch gerne jetzt und hier sterben dürfte, weil ich ihren Sohn geweckt habe, versucht sie mit einem leichten Zucken der Mundwinkel zu überspielen. Vermutlich will sie mich freundlich ansehen, grimassiert jedoch nur. Ich stehe einfach nur doof da, das Gesicht ebenfalls verzerrt.
» Wenn’s gerade blöd ist…«
» Nee, jetzt ist es eh zu spät. Wenn Emil mal wach ist, war’s das.«
» Tut mir leid.«
» Ist nicht dein Fehler. Ralf will schon seit Tagen die Türklingel austauschen, kommt aber nicht dazu.«
» Hat er sie denn schon besorgt?«
» Klar. Aber bis er hier im Haus was installiert, vergehen in der Regel Jahre.«
» Dann ist das Mindeste, was ich tun kann, wohl das.«
Endlich entspannen Marens Lippen sich wieder, und sie zeigt ihr bezauberndes Lächeln, das nur von Jessi übertroffen wird (grundsätzlich, sie muss nicht mal lächeln). Ich ziehe meine Schuhe aus und lege Mantel und Schal ab, während Maren wieder in Richtung Wohnzimmer verschwindet, um den noch immer krähenden Sohn ruhigzustellen. Dass sie ihn stillen würde, habe ich nicht bedacht, als ich ihr ins Wohnzimmer gefolgt bin, wo sie jetzt gerade ihren enorm gewachsenen Busen freilegt. Ich schaue reflexartig gen Decke und erkundige mich, wo Ralf das Werkzeug lagert.
» Ach, komm, das hat Zeit. Setz dich erst mal.«
Endlich hält sie Emil-Noel vor ihre Brust, und ich kann wieder einigermaßen in ihre Richtung sehen, fühle mich dabei aber dennoch unwohl. Da sie mit der rechten Brust stillt, setze ich mich links von ihr in einen der biederen BoConcept-Sessel. Wobei ich, streng genommen, gerade sehr viel biederer bin als das spießige Polstermöbel.
» Wie geht’s dir denn so?«, will Maren wissen.
» Ach, ja, geht schon. Die typischen Sinus-Ausschläge eben.«
Sie zieht den Kopf zurück und runzelt die Stirn.
» Und die Hochzeitsplanung ist in vollem Gang?«
» Ja, ja, klar. Und die Geburtsvorbereitung, Sonntag war Partnertag.«
» Ich weiß, Jessi hat was erwähnt.«
Fuck. Wenn Jessi bereits mit Maren telefoniert hat, wird sie bestimmt von meinem Versprecherchen (Dinge klein zu reden hilft mir bei der Verarbeitung) berichtet haben. Da Maren mich jetzt jedoch fragt, wie es sonst so läuft, kann das auch eine falsche Vermutung sein.
Statt nun zum fünften Mal jemandem zu erzählen, wie es gerade um meine Beziehung steht, tue ich lieber so, als wäre alles in Butter. Da Maren so oder so nur mit halber Aufmerksamkeit anwesend ist (die andere Hälfte stillt), wäre sie eh keine Hilfe. Kaum habe ich ihr erfolgreich das Gefühl gegeben, dass es Jessi und mir bestens geht, legt sie los. Und alles, was aus ihr heraussprudelt, ist Kind.
Von Windeln, Ausschlag am Po, ihrem Körper, den sie dem Kleinen samt Brüsten opfert, seinem Spuckverhalten, Stuhlgang, Atmen, Lachen, Weinen und noch mal Kotzen, diesmal jedoch in Verbindung mit all den Möbeln, die inzwischen mit halb verdauter Muttermilch besprenkelt sind, darunter auch mein Sessel. Instinktiv hebe ich den Arm, um zu prüfen, ob ich mit dem Ärmel tatsächlich gerade in frisch Erbrochenem hänge, und Maren prophezeit, dass es uns sicher auch so gehen wird, wenn unsere Tochter erst mal da ist.
Das bezweifle ich, nicke aber zustimmend. Wir werden zwar ebenso monothematisch für die Kleine leben, aber mit Freunden werde ich auf jeden Fall versuchen, mich zurückzuhalten. Einen Unbeteiligten dermaßen detailliert über die wenigen aktivierten, höchst unattraktiven Fähigkeiten eines Säuglings zu informieren, ist einfach eine Zumutung. Klar, sich als Eltern exklusiv damit auseinandersetzen zu müssen, auch– aber dafür hat man sich ja schließlich entschieden. Besonders, wenn man das Kind so dringend wollte, dass man dafür sogar auf die Samenspende eines fremden Menschen zurückzugreifen bereit war.
Trotz meiner ständigen Versuche, das Thema zu wechseln, kehren wir spätestens nach zwei Sätzen über den Winter (zu kalt), Ralfs Job (zu stressig) und Marens Plänen für die Zukunft (zu früh) wieder zum Babytalk zurück. Ich erwäge schon, auf die Uhr zu sehen und einen Termin vorzutäuschen, als das Unerwartete geschieht. Emil-Noel, den Maren zwar immer nur Emil nennt, dessen hochkarätig dämlichen zweiten Namen ich mir aber nicht aus dem Kopf schlagen kann, hat die rechte Brust erfolgreich geleert und ist nun sehr
Weitere Kostenlose Bücher