Frettnapf: Roman
beiden in der Küche alleine. Vielleicht überrascht Hondo sie ja doch noch und schüttelt meinen Vater wieder zur Vernunft. Wenn die Erziehung, die er genossen hat, noch bei ihm wirkt, sollten ihm ein paar Schläge auf den Hinterkopf nicht schaden.
Ich schlurfe mit dem Kaffee in meiner leicht zittrigen Hand zurück in mein Zimmer. Dort studiere ich erneut Buchtitel in Aylins Bibliothek, in der stillen Hoffnung, doch noch einen gebundenen Lebensberater zu finden, der mir helfen kann. » The Secret«, » Einfach mehr Charisma«, » Unglücklichsein« – allein die Vorstellung, einen derartigen Titel einer Kassiererin beim Hugendubel in die Hand zu drücken, übertrifft alles, was mir an peinlichen Shoppingsituationen durch den Kopf springt (Sexshops ausgenommen, da würde ich schon beim Betreten des Ladens vor Scham erstarren). Ich erinnere mich nur zu gut daran, wie ich Jessi auf ihren Wunsch hin » Shades of Grey« besorgt habe, nicht wissend, dass es neben dem Buch von Jasper Fforde auch noch eine Hausfrauensoftsadomasotrilogie gibt, auf die mich die Verkäuferin mit einem durchschauenden » Ich glaube, Sie suchen das da« nebst einem Fingerzeig auf einen Riesenstapel Bücher aufmerksam machte. Ich konnte gar nicht glauben, dass Jessi den aktuellen Frauenbestseller lesen wollen würde, legte aber trotzdem eingeschüchtert und peinlich berührt Ffordes Werk zurück und bezahlte den weichgespülten Folterschinken, nur um ihn zwei Tage später wieder umzutauschen. Jessi hatte nicht umsonst den Namen des britischen Schriftstellers auf den Zettel geschrieben, den ich unterwegs verloren hatte. Leider hatte die Kassiererin frei, sodass ich die E. L.-James-Käufer-Schande nicht von meinen Händen waschen konnte.
Kurzentschlossen greife ich mir nun » Liebe dich selbst und es ist egal, wen du heiratest«, um es heute Abend zum Thema meiner Probesendung zu machen, und habe mich gerade gesetzt, als ich plötzlich ein Stöhnen höre, nein, ein Schreien.
Sofort lege ich Buch und Tasse zur Seite und werfe mich zu Boden, um zu horchen, ob die rhythmischen, lautstarken Lustbekundungen aus dem Zimmer unter meinem kommen. Doch vergebens, mein auf den Boden gepresstes Ohr hört nichts mehr, während das der Decke zugewandte nun umso deutlichere Hinweise auf wildes Gesexe im Obergeschoss empfängt. Das muss Malea sein. Es darf bloß nicht.
Mit drei Sätzen bin ich im Treppenhaus, nehme die Stufen in die nächste Etage im Flug und klingle, ohne auf das Namensschild zu achten, Sturm. Das scheint die beiden Liebenden in der Wohnung vor mir allerdings nur noch mehr anzustacheln.
Schließlich hämmere ich gegen die Tür, worauf die der Nachbarwohnung aufgeht und ein schweißgebadeter Hondo in Trainingshose herausspäht.
» Was geht denn mit dir ab?«, will er wissen.
» Die sind sehr laut«, stammle ich.
» Ja, und?«
» Ich dachte…«, setze ich an, bringe aber meine Vermutung, ihn und Malea gehört zu haben, nicht über die Lippen. » Ich dachte, das stört.«
» Bist du krank, oder was? Ist doch geil, wenn die noch Sex machen.«
» Wieso?«
Die Antwort kann sich Hondo sparen, denn plötzlich öffnet sich die Tür vor meiner Nase. Ein mindestens sechzigjähriger Mann starrt mich an. Er trägt einen glänzenden Satinbademantel, der im Lendenbereich noch deutlich ausgebeult ist.
» Guten Tag?«
» Tag, ich, äh…«
» Falls Sie ein Abo verkaufen wollen, muss ich Sie enttäuschen.«
» Nein, nein, ich wollte mich nur vorstellen«, stammle ich. » Ich wohne für ein paar Tage unter Ihnen. Also, unter Ihrem Schlafzimmer.«
» Oh. Haben wir Sie gestört?«
» Nein«, schaltet Hondo sich ein. » Er hat Sie gestört, und dafür muss ich mich entschuldigen. Wenn Sie wollen, schmeiß ich ihn raus.«
» Nein, nein, Hondo. Ich–«
Der rüstige Rentner– eine Alliteration, die sich, dank RTL , immer ungewollt in meine Gedanken schleicht, wenn ich einen älteren Herrn sehe, der offenbar noch ganz gut im Saft steht– bricht mitten im Satz ab und starrt an Hondo vorbei in Maleas Wohnung. Sein Blick wandert zu Hondo und wieder zurück in den Flur, dann räuspert er sich, dreht sich um und verschwindet wortlos in seiner Wohnung. Wir beide haben seine plötzliche Irritation bemerkt und wagen nun auch einen Blick in den Flur, sehen jedoch nichts und niemanden. Leicht verwundert über den plötzlichen Abgang des Alten, aber vor allem tief beschämt entschuldige ich mich für meinen Auftritt, und Hondo zischt, ob ich überhaupt
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