Frettnapf: Roman
morgen warten.
Somit wäre der Rest der Woche eingetütet, was bedeutet, dass ich mich in Ruhe auf den Anruf bei Jessi vorbereiten kann. Als Erstes brauche ich einen Kaffee und schlurfe dafür in die Küche. Dort sitzt mein Vater bereits vor einer Tasse und unterhält sich angeregt mit Aylin, die ihn, für meinen Geschmack, etwas zu aufmerksam betrachtet. Hondos Halterin trägt zur Abwechslung richtige Kleidung, ein seidiges Gewand, das sich zärtlich an ihre Kurven schmiegt. Als sie mich entdeckt, wendet sie mir werbewirksam den Kopf zu, und ihr dunkles Haar schwingt eindrucksvoll mit. Wäre ich eine Frau in ihrem Alter, würde ich sofort jedes Shampoo kaufen, das sie empfiehlt.
» Guten Morgen«, haucht sie in meine Richtung.
» Tag. Wie geht denn die Kaffeemaschine?«, frage ich.
» Wie alle. Tasse reinstellen, Knopf drücken, fertig.«
» Danke.«
Vielleicht stelle ich mich gerade so dämlich, weil ich sie aus ihrer Unterhaltung mit meinem Vater lösen möchte. Mir wird bei der Vorstellung unbehaglich, dass Hondo hereinkommen und die Situation vollkommen falsch interpretieren könnte.
» Wo ist eigentlich Hondo?«, frage ich vorbeugend.
» Der ist oben bei Malea. Brauchst du ihn dringend?«
Ich brauche Hondo überhaupt nicht, sondern bin im Gegenteil froh, dass er nicht hier ist.
» Ich wollte nur klären, ob es in Ordnung ist, wenn mein Vater hier ein paar Tage bleiben will«, erkläre ich, unsicher, ob das ein richtiger Satz war. » Ich bin eh schon dankbar, dass er so großzügig ist und mich hier schlafen kann.«
Da war nun definitiv ein Fehler drin, vor meinem inneren Auge erscheint das, was ich gesagt habe, in Schrift, und ich muss mich bei dem Versuch, es zu lesen, fast übergeben.
» Dann frag doch einfach mich. Ist schließlich meine Wohnung. Oder hat Hondo etwa behauptet, dass er hier das Sagen hat?«
» Nein, natürlich nicht. Ich war nur davon ausgegangen, dass er hier Miete zahlt.«
» Das stimmt. Aber nicht so, wie du dir das vorstellst.«
Aylin lächelt mich zweideutig an, obwohl, eigentlich recht eindeutig. Ich soll mitbekommen, dass sie von meinem Freund begehrt wird, und mir am besten auch gleich ausmalen, wie großartig es mit ihr im Bett wäre. Das fällt mir allerdings schwer, da mich eine Frau wie sie höchstens einschüchtern würde. Ich käme mir vor wie ein kleiner Junge, ein Schüler, der von seiner strengen Mathelehrerin in die Kunst des Liebens eingeweiht werden soll. Mein Leben lang habe ich nie Fantasien gehabt, in denen ich eine reife Frau verführe, geschweige denn von einer verführt werde. Nur einen Albtraum in der neunten Klasse, in dem meine damalige Lateinlehrerin Frau Gschwendt vorkam, die sich für ähnlich attraktiv hielt wie Hondos Allerwerteste.
» Bei dir im Haus ist nicht noch zufällig eine kleine Wohnung frei?«, wendet sich mein Vater an Aylin.
» Wieso? Willst du jetzt doch daheim ausziehen?«, mische ich mich dazwischen, um der scharfen Schabracke jede Antwortmöglichkeit abzuschneiden.
» Das habe ich dir doch gestern Abend erklärt. Ich muss noch mal leben, bevor ich auf dem Sterbebett liege und wie neunundneunzig Prozent der Menschen bedaure, meine Zeit auf Erden vergeudet zu haben.«
» Aber das hast du nicht«, setze ich dem entgegen. Ich kenne die Facebook-Meldung, in der die fünf am häufigsten bereuten Fehler Sterbender aufgezählt werden: Sie haben statt der eigenen nur die Erwartungen anderer erfüllt, zu viel gearbeitet, den Kontakt zu ihren Freunden nicht gepflegt, es sich nicht erlaubt, glücklich zu sein, und es nie geschafft, ihre Gefühle auszudrücken. Ich habe das nur belächelt, weil ich von den genannten Punkten lediglich meine Freundschaften vernachlässige, was ich zwar bedaure, aber einfach nicht besser hinbekomme. Was jedoch nicht nur an mir liegt, sondern auch an den Freunden, die mich nach und nach aufgegeben haben. All die anderen Punkte mache ich offenbar richtig– bloß glücklich bin ich trotzdem nicht.
» Wenn du was vergeudet hast, dann ist es ja wohl das Leben von Mama, wenn du sie jetzt verlässt.«
» Oder er gibt ihr die Chance, auch mal nachzuholen, was sie in den letzten zehn Jahren verpasst hat«, mischt sich nun Aylin ein.
» Entschuldige, Aylin, aber du kennst meine Mutter nicht.«
» Du genauso wenig«, knurrt mein Vater.
» Das ist voll egal«, sagt Aylin und lehnt sich zurück. » Bei mir ist nichts frei.«
Der Automat ist zum Glück mit dem Austropfen meines Kaffees fertig, und ich lasse die
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