Frettnapf: Roman
zurück und legt auf. Ich bemerke, dass ich am ganzen Körper zittere, eine Reaktion, die ich bislang nur aus Büchern kannte. Zeitgleich arbeitet mein Verstand auf Hochtouren. Bülent weiß, dass ich verlobt bin und wo ich wohne, und er ist verrückt genug, mich und Jessi grundlos zu bedrohen. Ich werde Hondo dafür zur Rechenschaft ziehen müssen. Wie kann er mich mit diesem halbirren Patenverschnitt zusammenbringen? Nicht für alles Geld der Welt würde ich jemals Jessi in Gefahr bringen. Und jetzt habe ich es für » mit großer Wahrscheinlichkeit« zehntausend Euro getan. Sprich, eher für gar nichts.
Ein Glück, dass ich mich gleichzeitig fortbewegen und nachdenken kann. Keine Minute nach Bülents Anruf stehe ich in Hondos Keller, wo Sven sein Weltumrundungsrad abgestellt hat. Dank seiner Zweckmäßigkeit ist es unfassbar hässlich, mit Stangen und Haken an jeder freien Stelle, an denen man bestimmt ganz logisch geordnet seine Sachen befestigen kann. Flaschen, Töpfe, Zelt, Schlafsack, Isomatte. Da Sven das Rad in dem abgesperrten Kellerabteil nicht mit einem Schloss angekettet und das daneben gelagerte Mountainbike zwei platte Reifen hat, greife ich mir Svens Superbike, trage es die Treppe hoch und rase kurz darauf durch den abendlichen Verkehr.
München ist eine fahrradfreundliche Stadt, wurde 2010 sogar als » fahrradaktivste Stadt« von der Aktion Stadtradeln ausgezeichnet, unnützes Wissen, das man als Verkaufsprofi auf der Fahrradmesse allerdings draufhaben muss. Dass es trotzdem viel zu viele Ampeln gibt, die zudem radfahrerunfreundlich geschaltet sind, wurde selbstverständlich nicht festgestellt. Das erledige nun ich auf meinem Weg von der Maxvorstadt über die Leopoldstraße und die fahrradverachtende Innenstadt, in der man sich nur im Schritttempo fortbewegen darf. Natürlich schalte ich auf Arschlecken 3000, ignoriere Ampeln und Passanten und verleihe dem Begriff Radlrambo eine neue Dimension mit dem stolzen Ergebnis, es in knapp acht Minuten aus meinem Zimmer ins Café Benz geschafft zu haben.
Davor steht einer von Bülents Casinoschergen, dem ich Svens Bike mit dem Hinweis in die Hand drücke, dass das Teil mehrere Tausend Euro wert ist, obwohl es so beschissen aussieht, und er darauf aufpassen soll, weil ich Bülents Buchhalter bin. Er blickt mich nur verständnislos an, doch mir bleibt keine Zeit, mein Anliegen zu wiederholen.
» Pass einfach drauf auf«, fahre ich ihn an und springe die drei Stufen zum Eingang der Wetthölle hinauf. An der Bar sitzt Bülent bei Serkan und glotzt auf sein Handy.
» Der Deal ist off«, anglizisiere ich ihm wütend entgegen, doch Bülent hebt nur langsam seinen Kopf, legt dann die Zähne frei und grinst mich breit an.
» Neun Minuten, zweiundzwanzig Sekunden.«
Ich bin vollkommen außer Atem und sacke erst mal in mich zusammen. In ein paar Minuten wird meine Kleidung schweißdurchtränkt sein, was die Heimfahrt auf dem Rad ohne Jacke zu einem großen Gesundheitsrisiko werden lässt.
» Das ist krass schnell«, höre ich dann Hondo sagen. » Boah, muss der sich eingeschissen haben!«
Das folgende Gelächter macht mich wirklich wütend. Ich richte mich wieder auf und sehe nun auch meinen Freund vom Balkan, der sich hinter dem Tresen versteckt hatte. Leider bin ich im Umgang mit Wut ein absoluter Amateur, und meine Auseinandersetzung mit dem Tanzbären im Atomic hat mich obendrein gelehrt, dass ich nicht kämpfen kann. Hier stehen mir drei Männer gegenüber, die garantiert schon in große Schlägereien verwickelt waren und siegreich daraus hervorgegangen sind. Ich bin dagegen der Superdödel in » Sie nannten ihn Mücke«, der in der Casinoszene von Bud Spencer immer wieder eine gewischt bekommt. Meine Taktik muss also anti-aggressiv sein, wenn ich nicht die folgenden Wochen in der Uniklinik verbringen möchte. Ich bemühe mich, in das Gelächter einzusteigen.
» Du willst fünftausend von mir, da muss ich auch bisschen Spaß mit dir haben«, blökt Bülent. » Aber im Ernst: Morgen Mittag brauch ich dich hier. Als Buchhalter. Zieh dich entsprechend an.«
» Hey, Bülent, ist es okay, wenn ich mich von dem im Klo ein blasen lasse?«, versucht Serkan nachzulegen, killt damit aber schlagartig die ausgelassene Stimmung meiner Peiniger. Bülent dreht sich zu seinem Barkeeper und starrt ihn an.
» War nur ’n Witz, weil der so schwul ausschaut«, versucht Serkan die Aufmerksamkeit wieder auf mich zu lenken.
» Glaubst du, dass ich einen schwulen Buchhalter
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