Frettnapf: Roman
das er vor zwei Jahren für eine perverse Summe an so was wie Google verkauft hat.
Mein Vater und ich sitzen den ganzen Abend nur da und starren wie geschlagene Hunde vor uns hin. Papa hat sich recht schnell für den Weichspüler entschuldigt, als Schwiegervater in spe habe er eben schon gewisse Beschützerinstinkte, was die Mutter seiner Enkelin betreffe. Leo hat das Missverständnis mit einem Schulterklopfen und einer Runde Champagner vom Tisch gefegt und dem Kellner gesagt, dass die Rechnung auf ihn geht. Seitdem macht selbst das Trinken keine Freude mehr, da es ihn offensichtlich in keinster Weise jucken wird, wie viel Geld er hier in der Bar des Bayerischen Hofs lässt. Ja, in der Tat: Wir sitzen nicht gemütlich im München 72, sondern dort, wo der Sänger von Oasis ein paar auf die Fresse bekommen hat, wo schon Bud Spencer speiste und Bruce Springsteen abfeierte. Man sollte hier einfach nicht hingehen, selbst dann nicht, wenn man wie Leo ein Zimmer fünf Stockwerke über der Bar hat.
Jessi hat sich schon früh verabschiedet, sogar von mir, allerdings kein Wort zu Leo verloren. Ich versuche seitdem, mich zwischen einem Dr. Funk’s Son und einem Trader’s Stinker zu entscheiden.
» Wenn du dich nicht entscheiden kannst, bestell einfach beide Drinks, ich nehme dir dann einen ab«, ruft mir Leo zu und bekommt kurz darauf einen Tiki Puka Puka von mir rübergeschoben, eine Rumplörre, mit der ich ihn bestrafen will. Leo schmeckt sie leider.
Da ich es schaffe, einigermaßen nüchtern zu bleiben, kann ich meinen Widersacher in ein Gespräch verwickeln. Ich muss unbedingt herausfinden, was bei dem Treffen mit Jessi seine Intention war und wie sie reagiert hat.
» Mach dir da keinen Kopf, Jens. Wir kennen uns seit der Schule, da sind wir mal eine Zeit lang zusammen gegangen. Wir waren dreizehn oder vierzehn. Jessi hatte noch nicht mal einen Busen, und selbst wenn, hätte ich nicht den Mut gehabt, sie anzufassen. Ich war in dem Bereich ein Spätzünder.«
» Ich auch. Aber inzwischen zünde ich immer sehr früh«, scherze ich, die Vorlage war einfach zu perfekt.
» Aber eins wundert mich schon«, fährt Leo fort, und ich hoffe, dass es jetzt endlich interessant wird. » Wieso hat Jessi mir nichts von der Hochzeit gesagt? Wir haben nämlich mit sechzehn so eine dumme Wette abgeschlossen: Wer von uns als Erster heiratet, äh–«
» Vielleicht hat sie’s einfach vergessen«, unterbreche ich, da mir nicht danach ist, irgendwelche Details über seine Teenagerwetten zu erfahren. » Also, die Wette, meine ich.«
» Kann ich mir nicht vorstellen.«
» Siehst du, und genau das ist der Unterschied zwischen uns: Mich heiratet sie, und mit dir schließt sie Wetten darüber ab«, setze ich nach, um sein Ego in die Schranken zu weisen.
» Ach so. Du denkst, dass ich sie angerufen habe, um zu sehen, ob zwischen ihr und mir was geht. Klar. Würde ich auch denken, wenn ich mit ihr verlobt wäre.«
» Möglich.«
» Hab ich aber vielleicht gar nicht. Es kann sein, dass wir uns zufällig im Kinofoyer begegnet sind. Oder sie mich angerufen hat.«
Hat sie nicht. Hat sie nicht! Hat sie nicht!!!
» Hat sie aber nicht«, erlöst mich Leo aus meiner Gedankenschleife und legt mir die Hand auf die Schulter. » Alles wird gut.«
Hondo ist nicht entgangen, dass ich mich mit Jessis spendablem Ex-Knutschfreund aus dem Gespräch am Tisch zurückgezogen habe. Er schielt immer wieder zu uns rüber, bereit, mir jederzeit beizuspringen. Da er ebenfalls trinkt und seine Aggressionsschwelle mit jedem Schluck sinkt, fühle ich mich mal wieder mehr durch ihn denn durch Leo bedroht. Sein » Alles wird gut« allein disqualifiziert Leo schließlich komplett und erklärt außerdem, warum er bei Jessi keine Chance mehr hat. Zwischen uns ist alles geklärt.
» Ich weiß, Leo«, stimme ich zu und bewege meine Schulter ein wenig, sodass er seine Hand wegnimmt. Dann steht Leo auf und verabschiedet sich aus der Runde, er muss morgen früh raus. Wir erheben uns ebenfalls alle, reichen ihm die Hand, bedanken uns artig. Ich finde es erniedrigend, jemandem wie ihm dafür zu danken, seine Zeit geselliger gestaltet zu haben. Inzwischen bin ich überzeugt, dass er Jessi in der Tat im Foyer über den Weg gelaufen ist und dieser Abschied unser letzter sein wird. Im Grunde könnte er mir leid tun, er ist echt nett. Nur etwas langweilig. Und reich.
Das halten wir auch in der Runde so fest.
» Netter Kerl«, findet mein Vater. » Geht die nächste Lage auch
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