Frettnapf: Roman
wir… Wow. Ihr habt wirklich ’ne Krise.«
Ich zucke mit den Schultern.
» Dir ist klar, dass sie echt fertig ist, oder? Sie hat sich ihre Zukunft mit dir ausgemalt, alles war ihrer Meinung nach perfekt– und da flippst du aus.«
» Ja. Leider.«
» Aber warum?«
Ich muss erst mal durchatmen. Sollte mir gerade mein rettender Engel gegenübersitzen, wäre es nun angebracht, die Hosen runterzulassen und alles auf den Tisch zu legen. Nicht ganz so unglücklich ausgedrückt: Ich sollte ihm einfach sagen, woran ich verzweifle, und hoffen, dass er mir helfen kann.
Fest steht nach zwei Stunden Barista, dass ich drei Dinge in meinem Leben nie wieder machen werde: Fremde vorschnell als Arschlöcher abstempeln, meinen Vorurteilen Glauben schenken und hohldrehen. Wenn mir das gelingt, ergibt sich der Rest von allein. Behauptet Leo, und der muss es wissen, denn er lebt so und ist glücklich. Okay, dass er sich nie mehr um Geld Sorgen machen muss, findet auch er diesbezüglich hilfreich, bestreitet aber, dass dies eine wesentliche Rolle spiele.
Nachdenklich stimmt mich, dass er mir denselben Vorschlag wie mein Vater gemacht hat: Ich soll eine Agentur für Messemoderatoren und Messehostessen aufmachen– für menschlichen Messebedarf, wenn man so will. Und ich habe zugegeben, dass die Idee zwar naheliegend ist, aber eben auch unangenehm. Vor allem, da ich bekannt dafür bin, Agenten und Makler zu verabscheuen, zu beschimpfen und sie anderen auszureden. Und weil Sven auch schon so eine Überlegung eingebracht hat. Gut, er meinte, dass immer Immobilienmakler gesucht werden, und die zu verachten werde ich mir auch beibehalten. Aber Agenten– da muss ich jetzt umdenken– sind nach neuster Definition wohl in Ordnung. Sie zocken nicht ab, sondern bringen eine Leistung. Wenn ich konsequent darauf bestehe, dass ich nur an Jobs mitverdiene, die ich für meine Klienten akquiriert habe, kann ich mich vermutlich damit anfreunden. Ich bräuchte auch erst mal kein Büro, sondern könnte von zu Hause aus beginnen. Mein ehemaliger Plan Y ist damit zu Plan B geworden. Nicht zu Plan A, schließlich ist meine Radiokarriere noch nicht komplett abgehakt. Zwei Chancen habe ich noch. Und es wäre lächerlich, jetzt schon aufzugeben. Sagt Leo.
Aufräumen. Das soll mein Thema für meine erste Sendung bei Hip FM sein. Ich stelle mir vor, dass Hörer anrufen können, die berichten sollen, was oder wo sie zuletzt aufgeräumt haben. Ich selbst erzähle vom Entrümpeln meiner Engstirnigkeit, das wird sensationell. Als Anrufer werde ich Sven und Leo einsetzen, es fehlen nur noch ein paar vorbereitete Moderationen, dann steht mein Abend.
Ich bin pervers gut gelaunt in meinem Zimmer bei Hondo, unter anderem, weil die Sachen meines Vaters nicht mehr hier sind. Er wird nach Hause gefahren sein, und ich hoffe sehr, dass er nicht ins Dachgeschoss abgewandert ist, sondern heute meine Mutter ausführt. Ich glaube nicht daran, stelle es mir aber wenigstens vor. Und der Gedanke macht mich ebenfalls glücklich.
Es fällt mir überraschend leicht, mich auf meine Probesendung zu konzentrieren, und so bin ich pünktlich um 19 Uhr perfekt vorbereitet. Ich habe sogar meine Moderationen schon ein paarmal mit dem Laptop aufgenommen, angehört und verbessert. Hoffentlich zieht Leo selbst auch nach München, jemand wie er hat in meinem Leben noch gefehlt. Einer, der mir Mut macht, von Mann zu Mann. Ich brauche auch bestimmt nicht oft mit ihm zu sprechen, nur alle paar Wochen mal, wenn ich den Fokus wieder verliere. Zu gerne würde ich jetzt Serkan anrufen und ihm von Leo vorschwärmen, bis er denkt, dass ich mich in ihn verliebt habe. Nur um ihn vollends zu verwirren.
Meine Sachen sind gepackt, ich habe genug Zeit, um entspannt zum Sender zu fahren. Wäre da nicht mein Schicksal, das dumme Schwein, das mir in Form von Ariel Abrahams in den Abend grätscht. Vor ein paar Minuten hat es an der Haustür geläutet, Aylin hat die Tür geöffnet, und jemanden hereingebeten. Man ist leise redend in die Küche gegangen, wo nun mit einem Mal laut herumgebrüllt wird. Ich kann Hondos Stimme erkennen, Aylins ebenfalls, die dritte ist mir unbekannt, es muss sich um den Besucher handeln.
Das Schlauste wäre, nun einfach aus der Wohnung zu schleichen, doch ich komme nur bis auf den Flur. Dort stürmt plötzlich der rüstige Rentner von oben an mir vorbei und brüllt: » Ich weiß, was ich gesehen habe, Aylin! Und ich verstehe es als meine Pflicht, dich vor diesem Sohn einer Hure
Weitere Kostenlose Bücher