Freudsche Verbrechen. Ein Mira-Valensky-Krimi
gönnen, wo ich doch selbst auch vor hatte zu schlemmen? Und Frau Schneider machte ich nebenbei auch noch eine Freude. Eine eigene Katze hatte sie bloß aus der Angst heraus nicht, früher zu sterben als sie.
„Kekse, Gismo“, sang ich. Sie sah mich aufmerksam an.
Das Telefon läutete. Vielleicht Joe, mein Gelegenheitsgeliebter. Aber er sollte noch in Australien sein und eine dieser internationalen volkstümlichen Unterhaltungsshows moderieren. Eigentlich seltsam, dass es auch für volkstümelnde Musik einen internationalen Einheitsgeschmack gab. War das das schleichende Ende von Volkstümelei und anderem Völkischen? Oder dämmerte da eine neue Bedrohung herauf: internationaler Nationalismus? Ich rief mich zur Ordnung, ich mochte diese Musik nun einmal nicht besonders, das war alles. Es gibt eben die unterschiedlichsten Berufe. Abgesehen davon, dass Joe im Dienst bisweilen Sakkos mit aufgestickten röhrenden Hirschen trug, war er ganz in Ordnung. Ich hatte ihn bei meinen Recherchen über das Leben der Stars der Volksmusik kennen gelernt. Allerdings war ich am Ende gezwungen gewesen, mehr über das Sterben dieser Stars zu berichten. Eine Zeit lang hatten wir uns beinahe täglich gesehen. In den letzten Monaten war aus der ersten Verliebtheit ein lockeres Verhältnis geworden, abgestimmt auf unsere unterschiedlichen Berufe und unsere unterschiedlichen Interessen. Aber es war immer wieder schön. Und jedenfalls recht bequem.
„Ja?“, trällerte ich.
„Mira? Da ist Ulrike.“
Auf sie hatte ich komplett vergessen. „Ich wollte dich gerade anrufen, ich fahre …“
„Es ist schon wieder etwas passiert.“
„Ein Mord?“
„Nein, aber … mein Freund hat die Tote gekannt. Diese Jane. Er ist Psychiater. Er ist mit ihr ein paarmal essen gegangen. Deswegen hatte er letzte Woche keine Zeit für mich. Er hat sie im Museum kennen gelernt, als ich nicht Dienst hatte. Auch wenn er sagt …“
„Ulrike, das ist doch nicht so schlimm. Er meldet sich bei der Polizei und erzählt, was er weiß.“
„Ich will ihn da nicht hineinziehen. Er sagt, sie haben über nichts gesprochen, was mit dem Mord zu tun haben könnte. Ich weiß allerdings nicht, warum er mir von den Treffen nichts erzählt hat, wenn sie so harmlos waren.“
„Sag ihm, er soll zur Polizei gehen. Wenn er es nicht tut, kann es gut sein, dass sie trotzdem hinter diese Beziehung kommen, und dann steht er schlecht da.“
„Es war keine Beziehung.“
„Egal, was immer.“
„Er will erst einmal abwarten und überlegen. Und ich werde ihn sicher nicht melden. Er hat erst vor einem Jahr seine Praxis eröffnet. Und er hat Schulden. Kannst du dir vorstellen, wie sich sein Name in Verbindung mit einem Mord auf die Praxis auswirkt?“
Der Artikel im „Blatt“ hatte mir einen ungefähren Eindruck geliefert. Die Masse und die Massenmedien unseres Landes hielten nicht viel von Seelenklempnern und der Analyse der Psyche. Wahrscheinlich hatten sie vor dem Angst, was bei ihnen selbst zu Tage treten könnte.
„Mira?“
„Ja.“
„Bitte komm her, ich bin ganz verzweifelt. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Womöglich ist er in den Mord verwickelt. Ich weiß nicht, was ich dann tue.“ Ihre Stimme kippte.
Ich sah durch die offene Schlafzimmertür auf meine Reisetasche und seufzte. Wenn ich ihr jetzt zu helfen versuchte, vielleicht gab es dann auch jemanden, der mir half, wenn ich Hilfe nötig hatte. „Ich komme.“
Ich ließ mir von Dr. Peter Zimmermann einen Termin geben. Ich leide an Schlafstörungen, erzählte ich ihm am Telefon, es sei nicht mehr auszuhalten. Zuerst bot er mir einen Termin in der übernächsten Woche an. Viel zu spät, jammerte ich. Also bestellte er mich nach einigem Gemurmel über andere zu verschiebende Termine bereits für den kommenden Tag.
Ulrike hatte ich versprochen, ihren Freund unauffällig auszufragen. Und dann würde ich endlich, mit Verspätung, ins Veneto fahren. Der Psychiater brauchte nicht zu wissen, dass ich Ulrike aus der Schulzeit kannte. Ich sollte herausfinden, in welcher Beziehung er zu Jane Cooper gestanden war und ob er – direkt oder indirekt – etwas mit dem Mord zu tun hatte. Ulrike schien ziemlich eifersüchtig zu sein, ihre Einstellung gegenüber der toten Amerikanerin jedenfalls hatte sich radikal verändert, seit sie von den Treffen gehört hatte. Als „diese Jane“ oder „diese Tote“ titulierte sie das Mordopfer jetzt. Kein Wunder, dass ihr der Psychiater nichts von seiner Bekanntschaft
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