Freudsche Verbrechen. Ein Mira-Valensky-Krimi
erzählt hatte. Jedenfalls: Ich würde mein Bestes geben, um Ulrike Gewissheit zu verschaffen.
Einen Tipp hatte mir Ulrike noch mit auf den Weg gegeben: „Er macht keine Psychoanalyse, er macht Psychotherapie. Deswegen wird es viel leichter sein, ihn auszuhorchen. Anders als bei der Psychoanalyse soll in der Psychotherapie ein durchaus persönlicher Kontakt zwischen Patient und Therapeut entstehen. Er wird dir, wenn er das Gefühl hat, dass du dich dann wohler fühlst, alles mögliche erzählen.“
„Auch die Wahrheit?“, hatte ich gefragt.
„Das musst du eben herausfinden. Und lass dir selbst eine gute Geschichte einfallen.“
Die hatte ich. Immerhin konnte ich ihm von meinen Zuständen in der Nacht erzählen. Vielleicht waren sie ja sogar wirklich ein Fall für den Psychiater.
Seine Praxis hatte Dr. Zimmermann in einem der vom Verkehr grau gewordenen Altbauhäuser der oberen Linken Wienzeile, dort, wo man den Naschmarkt nicht einmal mehr riechen konnte. Ein blank geputztes Messingschild an der Türe, ein Hinweis, mit dem Lift in den vierten Stock zu fahren. Wenigstens ein Lift. Im vierten Stock zwei Wohnungen mit einem Gitter vor der Tür und der Eingang zur Ordination. Ich klingelte, die Tür ging automatisch auf. Ich ging durch ein Vorzimmer. Die Wände waren weiß, einige sehr schöne, farbenfrohe Miró-Drucke bildeten einen optimistischen Kontrast dazu. Der Garderobenständer, der aussah wie jene in alten Wiener Kaffehäusern, war leer. Ich öffnete vorsichtig die Tür, auf der „Wartezimmer“ stand. Offenbar hatte er keine Sprechstundenhilfe. Oder hatten Psychiater so etwas gar nicht? Der Raum war menschenleer. Auch hier weiße Wände, bunte Drucke, viel Platz. Eine gepolsterte Sitzecke in Weinrot und ein Tischchen mit einigen Zeitschriften darauf waren das einzige Mobiliar. Keine Vorhänge vor den hohen, neu renovierten Fenstern. Man hatte einen beinahe ungehinderten Blick auf das Wiental. Sehr viele Patienten konnte Ulrikes Freund nicht haben. Oder hatte er bloß eine bessere Einteilung als die Ärzte, die ich bisher kannte? Vielleicht sollten die Patienten einander nicht begegnen? Könnte ja peinlich sein, wenn man hier seinen Chef traf. Ich grinste beim Gedanken, hier auf meinen Chefredakteur zu stoßen. Etwas Psychotherapie könnte dem sicher nicht schaden. Niemandem, der einen Psychotherapeuten benötigte, sollte das peinlich sein, natürlich nicht. Zumindest theoretisch war mir das klar, praktisch war eben auch ich durch diverse Witze geprägt. Was soll’s.
Der Parkettboden knarrte, als ich vom Fenster zur Sitzgruppe ging. Unwillkürlich versuchte ich, mich leise zu bewegen. Ob ich an der Flügeltüre, die keine Aufschrift trug, klopfen sollte? Aber eigentlich musste er mein Kommen gehört haben. Ich beschloss, zehn Minuten zu warten und dann aktiv zu werden. Ich lauschte. Ich atmete flach. Kein Geräusch. Oder gehörte das alles schon zur psychiatrischen Therapie? Ich sah mich misstrauisch nach Kameras um, fand aber nur Halogenspots. Lächerlich, Zeit, die Vorurteile abzulegen.
Die Tür ging auf und ein schlanker blonder Mann mit strahlend blauen Augen kam mir lächelnd entgegen. Das konnte nicht der Psychiater sein, er war bestenfalls dreißig. Psychiater oder Psychoanalytiker waren alt, weise und hatten Bärte. Sie sahen eben aus wie Freud. Der hier hatte nicht einmal eine Brille und wirkte eher wie ein erfolgreicher Mittelstreckenläufer.
„Ich bin Peter Zimmermann“, sagte er und streckte mir die Hand hin.
„Mira Valensky“, erwiderte ich und fluchte auf Ulrike. Warum hatte sie mir nicht erzählt, dass ihr Freund um zehn Jahre jünger war als sie? Es spielte keine Rolle, das stimmt schon. Aber Überraschungen mochte ich zu meinem Geburtstag und nicht in einer Situation, in der ich mich ohnehin nicht ganz wohl fühlte.
Er führte mich zu einem bequemen gepolsterten Lederstuhl und bat mich Platz zu nehmen. Zwischen uns war ein Schreibtisch, überladen mit Papieren und Büchern. Dr. Zimmermann ließ sich in einen hohen Bürosessel fallen.
„Sie wollten also mit mir reden“, sagte er und sah mich an.
Ich schluckte und nickte. Ich würde ihm zuerst einmal von meinen Zuständen erzählen, bis ich wieder Tritt gefasst hatte und meine eigentliche Mission starten konnte.
„Also“, begann ich.
Er zog ein leeres Blatt Papier aus einer Lade, nahm einen Kugelschreiber und nickte mir aufmunternd zu. Seine Augen waren unglaublich blau.
Ich erzählte ihm vom Wecker, der meistens auf
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