Freudsche Verbrechen. Ein Mira-Valensky-Krimi
Ich legte sie wieder auf das Bett zurück. Heraus fielen zwei weitere Briefe.
Aufgeregt öffnete ich den ersten. Er kam von einer Margarethe Burger.
„Liebe Hanni,
ich war sehr erstaunt, nach so langer Zeit wieder etwas von Dir zu hören. Es ist schön, zu wissen, dass es Dir gutgeht. In Wien können das die wenigsten Menschen von sich sagen. Die Stadt ist immer noch voller Bombenschäden, auch wenn es langsam besser wird. Du warst klug genug, rechtzeitig in die USA zu gehen. Auf Deine Frage nach Eurem ehemaligen Haus in der Birkengasse kann ich Dir mitteilen, daß es noch steht. Es hat im Krieg kaum etwas abbekommen. Eigentümer ist jetzt eine Familie Bernkopf, mehr habe ich nicht herausfinden können, aber das wolltest Du ja auch gar nicht.
Warum willst Du nicht nach Wien zurückkommen? Es ist doch Deine Heimatstadt, trotz allem. Man kann nicht einfach mit seiner Vergangenheit brechen. Außerdem ist es in den letzten Kriegsjahren allen schlecht gegangen, da haben auch Nichtjuden leiden müssen. Ich habe den Verlust meines älteren Bruders zu beklagen, vielleicht erinnerst Du Dich noch an ihn. Gott sei seiner Seele gnädig, Josef hat er geheißen.
Unbekannte Grüße an Deinen Gatten und an den kleinen Buben,
Margarethe Burger
September 1948“
Auch der vierte Brief stammte von Margarethe Burger. Er war kurz.
„Liebe Hanni,
Du kannst es nicht ernst meinen, daß Du nach diesem Brief nie mehr ein Wort deutsch schreiben oder reden wirst. Es tut mir wirklich leid, was mit Deinen Eltern geschehen ist. Ich kann mich gut an Deine Mutter erinnern. Sie war eine wirklich liebe Dame. Ich war auch noch einmal bei Eurem ehemaligen Haus. Kannst Du Dich noch erinnern, wie wir unsere Botschaften und Schätze in dem Loch in der Hausmauer versteckt haben?
Gib mir wenigstens Nachricht, ob es Dir auch gutgeht. Ich kann schließlich nichts dafür, nicht jüdischer Herkunft zu sein. Sei vorsichtig. Man hört so viel von der Kriminalität in Amerika.
Deine
Margarethe Burger
Mai 1949“
Ich schüttelte die Kleider aus, sah noch einmal in die Decke. Mehr Briefe gab es nicht. Janes Großmutter hatte danach wohl endgültig mit der Vergangenheit gebrochen. Das Ehepaar, dessen Fotos ich gefunden und dessen Briefe an die Tochter ich gelesen hatte, war ermordet worden. Millionen Juden waren ermordet worden. Durch den Blick in das Leben dieser zwei war diese Tatsache für mich nicht länger abstrakt, sondern ganz konkret.
Ich blieb noch eine Zeit lang ruhig sitzen und legte dann sorgfältig die Fotos, die Decke und die beiden Seidenkleider zurück in den Koffer. Es war Hanni, Janes Großmutter, doch nicht ganz gelungen, die Vergangenheit zu vergessen. Sie hatte diesen Koffer aufbewahrt und Jane hatte ihn gefunden.
Am Nachmittag traf ich mich mit Janes Freundinnen und ihrem ehemaligen Freund. Die Briefe hatte ich kopieren lassen. Frau Cooper war ehrlich darüber erstaunt gewesen, dass die Mutter ihres Mannes aus Wien stammen sollte. Es sei nie über Derartiges geredet worden. Die Briefe habe sie nicht angesehen, bloß an eine Adresse in New York könne sie sich erinnern, die sei auf den Kuverts gestanden. Ob es sich nicht um eine Verwechslung handeln könne? Ich hatte ihr die Fotos gezeigt und sie war skeptisch geblieben. So hätten damals wohl die meisten Menschen ausgesehen, war ihre Antwort gewesen. Am Abend würde sie ihren Mann fragen, ob er mit mir darüber reden wolle.
Janes Freundinnen wussten nichts Nennenswertes zu berichten. Jane hatte keiner von ihnen aus Wien geschrieben, die Idee mit der Hausarbeit über das Freud-Museum sei plötzlich aufgetaucht und sehr rasch umgesetzt worden. Ja, der Polizei hätten sie auch nicht mehr erzählen können.
Von Janes ehemaligem Freund Ken vernahm ich bloß, dass die Coopers eben eine der typischen Aufsteigerfamilien seien. Sein abfälliger Ton war nicht zu überhören. Jane hätte ihr Studium dementsprechend wichtig genommen, noch nie hätte jemand in ihrer Familie studiert. Sie sei einfach für keinen Spaß mehr zu haben gewesen, das habe dann auch zum Ende ihrer Beziehung geführt. Er zog die Oberlippe hoch. „Meine Eltern haben ein Ferienhaus auf Long Island. Man kann dort wundervolle Partys feiern, aber sie musste immerzu lernen. Wissen Sie, was das absolute Ende war? Ein paar Freunde haben gemeinsam mit mir Melonen geimpft. Also da nimmst du große Wassermelonen und injizierst ihnen so viel Wodka wie möglich. Am Abend haben wir am Strand gefeiert und auch Jane war wieder
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