Freudsche Verbrechen. Ein Mira-Valensky-Krimi
entdecken. „Ich habe heute schon etwas vor.“
„Wir werden zusammenarbeiten. Ihr ‚Magazin‘ und unsere Zeitung. Das ist gut für Sie.“
Für mich? Bestenfalls für das „Magazin“. Zu einer Überidentifikation mit meinem Arbeitgeber sah ich keinen Grund. Das Abendessen mit Oskar Kellerfreund hatte ich mir redlich verdient. Er hatte angekündigt, mir ein neues, seiner Meinung nach exzellentes russisches Lokal zu zeigen. „Ich gehe russisch essen. Wir können uns morgen treffen.“
Die Botschaft schien nur teilweise beim Empfänger angekommen zu sein. „Die Russen? Sie haben auch mit dieser Sache zu tun?“
„Ja, und Freud persönlich auch, aber sagen Sie’s nicht weiter.“
„Wie bitte? Ich verstehe nicht. Hallo! Hallo!“
Ich hängte ein und wollte mich möglichst rasch aus dem Staub machen. Jeder Mensch hat ein Recht auf Privatleben. Wenn ich die ganze Geschichte schon nicht vergessen konnte, dann würde ich darüber lieber mit Oskar bei einem ausführlichen Essen reden als mit diesem Bostoner Redakteur.
Der Portier unseres Bürohauses hielt mich auf. „Sie haben Ihr Handy abgeschaltet“, sagte er streng.
„Ja“, erwiderte ich und lächelte. „Das ist nicht verboten, wissen Sie?“ Unser alter Portier war vor kurzem in Pension gegangen. Er war großartig gewesen. Und mit einer guten Flasche Wein leicht zur Zusammenarbeit zu bewegen. Sein Nachfolger war ein widerlicher Kriecher, der sich allmorgendlich vor den Chefs verbeugte. Die Verbeugung vor dem Herausgeber war die tiefste, dann folgte die Verbeugung vor dem Verwaltungsdirektor. Unser Chefredakteur kam gleichauf mit dem Werbeleiter an dritter Stelle.
„Die Chefredaktion lässt ausrichten, Sie mögen noch einmal nach oben kommen.“
Ich knurrte etwas Unverständliches und ging zurück zum Lift.
Ein kleiner Deal unter Chefredakteuren und ich kam zum Handkuss. „Boston Today“ würde das „Magazin“ zitieren, dafür sollte ich mit meinem Kollegen aus Boston zusammenarbeiten. Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, was es einem österreichischen Wochenmagazin bringen sollte, in Boston zitiert zu werden, aber mein Chefredakteur war von der Idee geradezu begeistert. Also sagte ich mein Abendessen mit Oskar Kellerfreund ab und fuhr zum Flughafen.
Er war einer der Ersten, die aus dem Ankunftsbereich kamen. Seine kurz geschnittenen dunkelbraunen Haare und die khakifarbene Tasche verliehen ihm etwas Militärisches. Auf dem Weg zu seinem Hotel erzählte ich ihm alles, was er noch nicht wusste, aber bereits öffentlich war. Meine Gedanken und meine Detailinformationen behielt ich für mich.
Er checkte ein und bestellte sich an der Bar ein Mineralwasser ohne Kohlensäure. Ich ließ mir einen doppelten Whiskey kommen.
„Das ist ungesund“, sagte er.
Ich prostete ihm zu. Ich hatte genug von seinen krausen politischen Theorien. Natürlich war die Sache mit dem arisierten Vermögen politisch, aber nicht so, wie er sich das vorzustellen schien. Die größte Freude hätte ich ihm wohl mit einem leibhaftigen Neo- oder auch Altnazi machen können. Vielleicht aber auch nicht. Er schien ohnehin alle Menschen in Österreich entweder für Nazis oder für jüdische Opfer zu halten. Dafür oder dagegen – darauf lief es hinaus. Dazwischen gab es nichts, da wurde kein Pardon gegeben. Gab es etwas dazwischen? Ich nahm einen großen Schluck. Entweder war man auf der Seite der Täter oder auf jener der Opfer. Die, die sich lieber heraushalten wollten, machten sich mitschuldig, weil sie die Schuld nicht sehen wollten. Die meisten wollten sich heraushalten. Das war in Österreich immer schon so gewesen. War auch bequemer so. Ich nahm noch einen Schluck. Einfach war die Sache nicht. Mein Kopf brummte. Es war ein harter Tag gewesen.
Der Journalist nannte Zeugen für seine These, dass in Österreich die Nazizeit nie ganz aufgehört hatte. Immerhin sei ein SS-Kriegsverbrecher zum Bundespräsidenten gewählt worden.
„Vorher war er UNO-Generalsekretär.“
„Aber da wusste niemand von seiner Vergangenheit.“
„Ein ‚Kriegsverbrecher‘ im engeren Sinn war er nicht, das hat auch die Historikerkommission festgestellt.“
Absurd. Ich war drauf und dran unseren ehemaligen Präsidenten zu verteidigen. Damals hatte ich gegen ihn demonstriert.
Der amerikanische Journalist legte mir den Arm um die Schultern. „Wir werden den Mörder finden, Mira.“
Ich hasse es, von Fremden angegriffen zu werden, und zuckte zurück. Er zuckte auch und entschuldigte sich.
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