Freudsche Verbrechen. Ein Mira-Valensky-Krimi
diesem Fall sind ihre Eltern in Wien geblieben und ermordet worden, nicht wahr? Und sie ist knapp vor dem Krieg zu einem jungen Mann nach New York durchgebrannt. Wissen Sie“, sie sah mich ernst an und strich ihre langen blonden Haare zurück, „viele der Überlebenden des Holocaust haben Schuldgefühle. Absurd, aber sie fragen sich, warum ausgerechnet sie überlebt haben. Ob sie nicht auch andere hätten retten können. Ob sie es wert sind, überlebt zu haben. Eine hohe Messlatte für ein Leben. Sie geben sie häufig an ihre Kinder weiter.“
„Herr Cooper scheint sich wenig aus dem Tod seiner Tochter zu machen. Es ist ihm offenbar egal, warum sie nach Wien gekommen ist. Hauptsache, sie hat das Haus gefunden.“
„So einfach kann man in niemanden hineinschauen. Und das Haus wurde seinen Großeltern ja tatsächlich weggenommen. Außerdem: Juden sind nicht mehr und nicht weniger gierig als alle anderen Menschen auch, es wäre nett, wenn sie anders geartete Vorurteile nicht weitertragen würden. Allein in meinem Bekanntenkreis sind zwei Familien an Erbschaftsstreitigkeiten zerbrochen und niemand von ihnen ist jüdischer Herkunft.“
Ich stotterte: „Natürlich glaube ich nicht, dass Juden gieriger sind als andere Menschen. Im Gegenteil: Es bedrückt mich eben besonders, wenn jemand mit dieser Geschichte dann … na, dann doch eben das Materielle in den Vordergrund stellt.“
„Haben Sie angenommen, dass kollektives und individuelles Leid die Menschen edel macht? Glauben sie, es gibt nur nette Juden?“ Ihr voller Mund verzog sich spöttisch.
„Nein, natürlich nicht, weil so ein Vorurteil wäre in gewisser Weise ja auch diskriminierend. Sie sind eben nicht alle nett und nicht alle sind reich. Manche sind sogar gierig, aber nicht alle eben, wie ihnen das in der Nazizeit unterstellt wurde.“ Ich seufzte.
Sie seufzte auch. „Leider nicht nur in der Nazizeit. Wissen Sie, was eines unserer größten Probleme ist? Dass sich in der Öffentlichkeit alles nur ums Geld dreht. Natürlich steht es den Naziopfern zu, geraubtes Vermögen zurückzuerhalten oder wenigstens im Nachhinein etwas für Zwangsarbeit zu bekommen. Ich werde mich immer dafür einsetzen. Aber es greift zu kurz. Die Medien beschäftigen fast ausschließlich damit. So als ob das, was vom Holocaust übrig geblieben ist, ein Streit ums Geld wäre. Vom System dahinter wird nicht geredet. Und schon gar nicht geschrieben. Die Politik hat auch wenig Interesse daran. Kein Wunder. Die großen Parteien haben nach dem Krieg durch Rechtsnachfolge einiges an arisiertem Vermögen gehabt, sie und der Gewerkschaftsbund haben von den halbherzigen Rückstellungsgesetzen profitiert. Nicht alles ist den ursprünglichen Besitzern zurückgegeben worden.
Außerdem war man von Anfang an bemüht die ehemaligen Nazis als Wähler zu bekommen. Wissen Sie, dass immer dann, wenn es in den Vierziger- und Fünfzigerjahren ein Gesetz zur Wiedergutmachung an Opfern des Nationalsozialismus gegeben hat, auch ein Gesetz im Interesse von Nazimitläufern, kleinen Mittätern oder zumindest der übrigen Bevölkerung erlassen wurde? Als die ersten Renten für KZ-Opfer beschlossen wurden, wurden auch Renten für Kriegsveteranen beschlossen. Als es um Entschädigungen für Eigentum ging, wurden alle gleich behandelt: Die Juden, denen man alles geraubt hatte, die man deportiert und in KZs gebracht hatte, mussten ebenso detailliert von der Stehlampe bis zum Küchenstockerl ihre Verluste angeben wie ausgebombte so genannte Arier. Ob Täter oder Opfer oder Mitläufer – es spielte keine Rolle. Und so ist es geblieben.
Man redet über das Geld und der Rest ist einfach nicht da. Wissen Sie, dass es in allen möglichen Ämtern noch Unterlagen über die Enteignung von jüdischem Vermögen gibt? Es hat sich bloß lange niemand darum gekümmert. Weil es nichts gibt, was es nicht geben darf. In der Psychoanalyse nennt man das Verdrängung. Da wird Abstand gesucht, alles, was an den Kern des Problems geht, vermieden. Kommt jemand dem Kern zu nah, dann sind die Reaktionen Ablehnung, Wut, die Sache kann eskalieren. Warum, glauben Sie, ist es sonst möglich, dass in unserem Land SS-Männer von Politikern belobigt werden, dass antisemitische Aussagen keine Konsequenzen haben? Weil weitgehend verdrängt wurde, dass es sich dabei um die direkte Fortschreibung der Nazizeit handelt. In einer Demokratie eben. Und zum Glück ohne die extremen Machtmittel für Einzelne.“ Sie seufzte und lächelte dann.
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