Freudsche Verbrechen. Ein Mira-Valensky-Krimi
„Entschuldigen Sie, jetzt habe ich Ihnen einen Vortrag gehalten. Aber irgendwie neigt unsere Branche dazu. Wenn sich das Ganze einfacher und kürzer formulieren ließe, wäre es leichter, die Botschaft bei mehr Menschen rüber zu bringen. Aber wie? Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich kenne ich zu viele Details.“
„Es interessiert mich“, murmelte ich. Und das war wahr. Dora Messerschmidt war anders als der selbstgerechte Journalist von „Boston Today“. Glaubwürdig.
„Janes Großmutter hat ihre Vergangenheit auch verdrängt. Auf eine andere Art und Weise“, sagte ich dann.
„Gut möglich. Es war für sie offenbar der einzige Weg, um leben zu können. Aber von Verdrängung kommt nichts Gutes. Und sie gelingt nicht vollständig. Denken Sie bloß an die Briefe, die sie aufgehoben hat. Wichtige Zeitzeugnisse für uns. Aber für Jane Cooper waren sie der Auslöser, um nach Wien zu fahren, um ganz allein nach ihren Wurzeln zu suchen. Und sie ist ermordet worden.“
„Sehen Sie einen Zusammenhang?“
Die Zeitgeschichtlerin schüttelte den Kopf. „So einfach kann man es sich nicht machen. Keine Ahnung. Tatsache ist jedenfalls, dass das Haus nicht ohne weiteres durch einen Prozess rückgestellt werden kann. Die jetzigen Eigentümer bräuchten sich also wenig Sorgen zu machen. Allerdings gibt es in den letzten Jahren viele, die aufgrund der tendenziösen, manchmal bloß auch schlampigen Berichterstattung nervös geworden sind. Sie nehmen an, dass sie von heute auf morgen ihre Wohnungen zu verlassen haben, wenn die ehemaligen Besitzer das fordern.“ Sie lachte. „Absurd, wenn man es bedenkt. Es waren die Juden, die von heute auf morgen diese Wohnungen verlassen mussten.“
„Warum haben so viele Leute zugesehen? So viele mitgespielt?“
„Geldgier und Neid. Das waren damals gute Motive und sie sind es wahrscheinlich heute auch noch. Da glaubt man gerne, dass Juden ohnehin Untermenschen sind. Dass ihnen ihr Eigentum nicht zusteht. Das war eine gute Entschuldigung. Egal ob es sich um altes Silberbesteck oder um ein Wohnhaus handelt. Die Leute hatten die Chance, zu stehlen, und dafür auch noch eine politische Rechtfertigung.“
Ich nickte. „Eines noch: Gibt es eine Möglichkeit, herauszufinden, wie und wo Janes Urgroßeltern gestorben sind?“
Das Gesicht der Zeitgeschichtlerin verschloss sich. „Ich habe beinahe vergessen, dass Sie beim ‚Magazin‘ arbeiten.“
Ich wurde rot und genierte mich ausnahmsweise nicht dafür: „Ich weiß, dass das ‚Magazin‘ nicht eben für seine seriöse Zurückhaltung berühmt ist. Aber meine Geschichten waren sauber, oder? Ich arbeite normalerweise in einem anderen Ressort. Ich bin in den Fall hineingeraten, weil die verdächtigte Mitarbeiterin des Freud-Museums eine Schulfreundin von mir ist. Ich frage nicht deshalb, weil ich die genaue Todesursache von Janes Urgroßeltern journalistisch ausschlachten möchte, sondern weil es mir keine Ruhe lässt. Ich habe ihre letzten Briefe gelesen. Ich frage mich, was mit ihnen passiert ist. Ihr Enkelsohn will es leider nicht wissen. Irgendjemand sollte es wissen.“
„Vielleicht hat er bloß gelernt, dass es besser ist, nicht zu wissen.“
„Trotzdem: Gibt es eine solche Möglichkeit?“
Sie nickte. „Das Dokumentationsarchiv hat eine Menge Unterlagen im Computer. Die meisten der Opfer des Holocaust sind inzwischen bekannt. Mehr als sechzigtausend Namen allein in Österreich.“
Ich gab ihr alle mir bekannten Daten und sie versprach mich anzurufen.
Als wir wieder auf die Straße traten, fragte ich sie: „Wie alt sind Sie eigentlich?“
Sie lachte. „Zweiunddreißig. Ich habe gesehen, wie sie mich zu Beginn gemustert haben. Keine Sorge, das geht mir immer wieder so. Aber ich habe keine Lust, nur deswegen älter auszusehen, weil es zum Image passt. Ich mag meine langen Haare, Blondinenwitze hin oder her. Es hat schon eine Zeit gegeben, in der ich statt Kontaktlinsen Brillen getragen habe und die Haare meist zu einem Knoten hochgebunden hatte. Aber irgendwann war mein Selbstbewusstsein dann groß genug um so auszusehen, wie ich eben aussehe.“
„Wie ein Topmodel.“
„Wie ein hübsches, dummes Blondchen. Ist doch schön, wenn man die Leute hin und wieder überraschen kann.“ Wir gaben einander die Hand und ich hatte das gute Gefühl, einen interessanten Menschen kennen gelernt zu haben.
[ 13. ]
Ich hätte gerne gewusst, wie gut das Alibi der Familie Bernkopf wirklich war. Ulrike hatte Jane Cooper um 19.44
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