Freudsche Verbrechen. Ein Mira-Valensky-Krimi
lieber.
Ein Ehepaar, das meine Eltern schon seit ewig kannten, entblödete sich nicht mir zu sagen: „Erwachsen bist du geworden, Maria. Und stattlich.“
Erwachsen war ich schon lange. Dass ich ein paar Kilo Übergewicht hatte, machte mich noch lange nicht stattlich. Falls doch, dann sollte man höflich darüber schweigen. Am meisten ärgerte mich aber, dass ich für meine Eltern und deren Umgebung immer und ewig „Maria“ bleiben würde. Dabei stand in meinem Taufschein „Mira“. Ein Versehen, ausgelöst durch einen Pfarrer, der offenbar schon mehr jenseits als diesseits gewesen war. Ein Glück, dass ich mit zwölf meinen Taufschein gesehen und bemerkt habe, dass ich eigentlich Mira hieß. Maria hieß bald jemand. Sogar im Gymnasium hatte ich alle davon überzeugen können, dass ich ab nun Mira war. Nur nicht meine Eltern und deren Freunde. Vielleicht trug auch das zu meinem distanzierten Verhältnis bei.
Ich beobachtete einige Parteifreunde meines Vaters. Sie hatten sich zusammengerottet und tranken Rotwein. Längst waren die Sakkos abgelegt, die Hemdsärmel aufgekrempelt und die Krawatten gelockert worden. Was war ihre Meinung zur Nazivergangenheit? Ich kannte sie ohnehin. Sie würden „von dem schrecklichen, verbrecherischen Regime“ reden und dann darum bitten, diese alten Sachen nicht länger aufzuwühlen. Man müsse in die Zukunft sehen.
„Fürchterlich“, hatte meine Mutter gesagt, als wir damit beschäftigt gewesen waren, ausgehöhlte Kartoffeln mit Trüffelcreme zu füllen. „Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Familie Bernkopf etwas damit zu tun hat.“ Außerdem riet sie mir, mich von „diesen Psychodingern“ fern zu halten, man wisse ja, „dass das zu nichts Gutem führt.“
Kurz vor fünf verabschiedete ich mich von meinen Eltern. Es war ein gelungenes Fest, das noch stundenlang dauern würde. Die Serviererinnen hatten ihre Anweisungen und wussten, wo der Nachschub war. Die großen Töpfe Gulasch und Pasta e Fasoi würde meine Mutter gegen Mitternacht wärmen.
Zwei Stunden Fahrt. Wenn nichts Unvorhergesehenes passierte, würde ich es rechtzeitig zu Vesnas Wohnung schaffen.
Ich hätte sie beinahe nicht wiedererkannt. Dezent geschminkt, in einem dunkelgrauen Kleid, mit Perlenkette und Perlenstecker in den Ohren, halbhohe schwarze Pumps an den Füßen. Vesna drehte sich vor mir. Sie wirkte … wie die Frau des Botschafters von Slowenien eben. Wobei nicht sicher war, ob die echte Frau des Botschafters so viel Stil hatte. Vesna griff nach einer großen schwarzen Handtasche. „Handtasche ist besonders wichtig. Weil vielleicht ich finde nicht nur Fotoapparat, sondern auch Tagebuch und so.“
Sie war voller Vorfreude auf das Abenteuer.
„Mein Mobiltelefon. Ich hab mir ein zweites aus der Redaktion besorgt. Die Nummer ist eingespeichert. Du brauchst nur auf die Taste 2 zu drücken.“
Sie nahm es und nickte. Höchste Zeit. Mir klopfte das Herz bis zum Hals. „Bist du nicht nervös?“
„Lampenfieber, ja, das schon. Aber sonst ganz ruhig. Es wird schon klappen.“
„Fahren wir.“
„Ich fahre mit Taxi, das wirkt echter. Mein Freund Bogdan ist Taxifahrer. Er fährt mich gratis. Frau Botschafter zu Fuß ist nicht so gut. Und Frau Botschafter, die aus einem kleinen Fiat von Freundin steigt, auch nicht. Außerdem: Vielleicht beobachten sie dich. Zwei haben sie schon ermordet.“
Vielen herzlichen Dank, das war genau der Zuspruch, den ich gebraucht hatte.
Vesna rauschte unter den skeptischen Blicken ihrer Zwillinge aus der Tür, ich hinter ihr drein. Ich hätte bestenfalls als ihre Privatsekretärin durchgehen können. Oder als ihre Putzfrau.
Bogdan fuhr eine Runde, damit Vesna sehen konnte, wo mein Auto geparkt war. Dann verschwand das Taxi. Bogdan sollte Vesna erst abliefern, nachdem die meisten Gäste eingetroffen waren. Ich würde warten, bis ich von ihr hörte oder sie sah. Eine verdammt passive Rolle. Mit dem Parkplatz hatte ich Glück gehabt. Ich konnte den Hauseingang ohne Probleme beobachten. Einige Meter vom Eingang entfernt hatten sich etwa zehn Demonstranten postiert. „Raus mit den Arisierern“, stand auf einem Transparent. Zwei uniformierte Polizisten schienen das Häufchen bunt gekleideter Jugendlicher zu bewachen. Ein Mädchen mit grünen Haaren hielt ein Schild mit der Aufschrift: „Jane Cooper – ein Naziopfer“. Sie sah nicht aus, als wollte sie sich auf die Festgäste stürzen. Ein Mann trug eine Tafel, auf der „Mahnwache gegen Faschismus“
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