Freudsche Verbrechen. Ein Mira-Valensky-Krimi
einigen anderen Zeitungen ausgelöst. Umso mehr sollte er mir dankbar sein. Ich schüttelte den Kopf. Es würde schon alles gut gehen. Vesnas Namen durfte ich auf keinen Fall nennen. Man stelle sich vor, das sickert zum „Blatt“ durch. Ich sah die Schlagzeile schon vor mir: „Bosnierin bricht bei Ministerialrat ein.“ Nein danke.
Ich ging gleich zum Chefredakteur. Seine Sekretärin grinste mir zu. „Er ist drinnen, aber ich muss dich erst anmelden.“ Auch so eine der Neuerungen, die er nach seinem letzten Managementseminar eingeführt hatte. Damit er nie überrascht werden konnte. Nun wurde darüber spekuliert, wobei man ihn denn überraschen könnte. Beim Nasenbohren? Beim Schlafen? Beim Comicslesen? Ich starrte auf die geschlossene Türe und wartete.
Was hatte Freud über das „Ichideal“ und über das „Massenideal“ geschrieben? Vielleicht waren Managementgurus dazu da, schwachen Persönlichkeiten irgendein kollektives Managementideal einzutrichtern. Egal ob Chefredakteure oder Wirtschaftsbosse: Sie schienen mir seltsam gleichgeschaltet zu funktionieren, vor allem die Jüngeren unter ihnen. Die Jüngeren männlichen Geschlechts. Aber Frauen waren auf dieser Ebene ohnehin selten. Da gab es irgendeine Heilslehre, der sich diese Typen verschrieben hatten. Erfolg war eine der zentralen Botschaften, Macht eine andere. Aber die einzelnen Personen, die dieses Managementmassenideal zu verkörpern hatten, waren alles andere als stark. Darum brauchten sie die Gurus wohl auch.
Die Sekretärin winkte mich hinein. Der Chefredakteur stand am Fenster und sah hinaus. Ich räusperte mich. Er drehte sich abrupt um, so als hätte ich ihn aus tiefen Gedanken gerissen.
„Es geht um die Mord-Story.“
„Sie hätten bei der Redaktionssitzung sein sollen. Dann wüssten Sie schon, dass wir auch diesmal keinen Platz dafür haben. Vielleicht eine Kurzmeldung. Wie Sie gemerkt haben, finden die anderen Medien das Thema nicht mehr besonders interessant. Zumal sich ja nichts zu tun scheint.“
„Ich musste in die Sicherheitsdirektion. Es gibt etwas Neues. Sogar etwas ganz Entscheidendes.“ Ich zog die Fotos aus der Tasche. Der Chefredakteur ließ sich in seinen schwarzen Lederschreibtischsessel fallen und blätterte sie lässig durch.
„Keine besonders gelungenen Aufnahmen. Es sind zwei Fotos von der Toten dabei, aber wir haben ihr Bild ohnehin schon gebracht. Und nur weil sie vor dem Freud-Museum steht …“
„Ganz abgesehen davon, dass es sich um ein Foto kurz vor ihrem Tod handelt und dass das Foto vor dem Mordschauplatz aufgenommen worden ist: Das andere Foto zeigt den ermordeten Psychiater. Die Fotos stammen aus ihrem Apparat.“
Ich erzählte ihm die Geschichte so, wie ich sie Zuckerbrot erzählt hatte. Seine Reaktion freilich war weit weniger emotional. Und sein Wissensdurst deutlich geringer. Immerhin nahm er die Aufnahmen der Wohnung und betrachtete sie genauer.
„Aber warum sollen wir den Leuten ein verwackeltes, unterbelichtetes Wohnzimmer präsentieren?“
„Weil es der Beweis ist, dass Bernkopf gelogen hat. Jane Cooper ist in seiner Wohnung gewesen. Sie hat sie sogar fotografiert. Wir veröffentlichen einen der wichtigsten Beweise. Wir haben ihn exklusiv.“ Ich machte eine Kunstpause. „Was glauben Sie, wie viele amerikanische Medien uns zitieren werden?“
Er blätterte die Fotos noch einmal durch. „Wir müssen seriös bleiben. Die Bernkopfs haben ein Alibi. Wir können Sie nicht als Mörder hinstellen, bloß weil die Ermordete in ihrer Wohnung Fotos aufgenommen hat.“
„Sie haben ein sehr gutes Motiv, nicht mehr und nicht weniger.“
„Warum? Bernkopf ist Jurist. Er hat ganz genau gewusst, dass selbst eine Klage auf Rückgabe des Hauses wenig Aussicht auf Erfolg hat.“
„Woher wissen Sie das so genau?“
„Ich habe gestern beim Golfen per Zufall seinen Sohn getroffen.“
Seit wann spielte der Chefredakteur Golf? Ich sah mich im Zimmer nach Golfschlägern um. Vielleicht war die Tür zu, weil wir ihn nicht beim Üben überraschen sollten. „Zufall wird das keiner gewesen sein.“
„Natürlich war es Zufall. Ich habe ihn schon einige Male im Club gesehen, aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass er der Sohn von Ministerialrat Bernkopf ist. Die meisten von uns Jüngeren sind per Du. Er heißt Mischa. Dass er auch Bernkopf heißt, daran habe ich nicht gedacht. Er ist überaus erfolgreich, und dabei ist er erst 31 Jahre alt. Er hat als einer der wenigen erkannt, dass man auch in
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