Freunde müssen töten - Thriller (German Edition)
Sohn wusste, er hatte keine Ahnung, womit sich ein dreizehnjähriger Junge beschäftigte, welche Interessen er hatte, ja nicht einmal, welche Musik er gerne hörte. Für Braun war sein Sohn ein Fremder, er hatte nicht einmal eine Ahnung, welche Schule er besuchte. Bald war das Gröbste beseitigt, das Zimmer mehr oder weniger wohnlich gestaltet und in einem Anflug von Sentimentalität pinnte Braun einige der Fotos, die ihn und Jimmy zeigten, an die kahlen Wände, bevor er zu seiner Exfrau Margot fuhr, um Jimmy abzuholen.
*
„Sieht echt Scheiße aus!“ Jimmy Braun knallte genervt seinen Rucksack auf den Boden, drehte sich in Brauns Wohnung um die eigene Achse, die Hände tief in den Taschen seiner übergroßen Jeans vergraben. Immer wieder schüttelte er den Kopf, rümpfte die Nase, schlurfte dann zum Esstisch, um sich ein Stück der fettigen Pizza abzureißen, die Braun besorgt hatte, bevor er Jimmy abgeholt hatte.
„Mann, ich kann überhaupt nicht verstehen, wie man es hier aushält! Bei diesem Lärm.“ Das war Jimmys erster Kommentar, seit sie in Brauns Wohnung angelangt waren. Brauns grauer Wohnblock lag nicht nur knapp am Zubringer zur Stadtautobahn, auch die Umgebung mit dem neuen Wirtschaftsförderungsinstitut, einem Technologiezentrum und der Autobahn, die sich über die rostigen Blechdächer der Häuser, die winzigen, mit Müll und Autowracks übersäten Gärten und unbeleuchteten Straßen wie ein schwarzes Betonungetüm spannte, war alles andere als einladend.
Jimmy deutete mit dem Kopf Richtung Fenster, von dem aus man direkten Blick auf den Zubringer hatte. „Wie kann man sich hier bloß wohlfühlen!“
„Mir gefällt es. Der Ausblick, besonders bei Nacht, und die vielen Scheinwerfer, die über die Wände huschen, das erinnert mich an eine Großstadt.“
Statt eine Antwort zu geben, schaltete Jimmy den Fernseher ein und zappte wahllos durch die Programme. Ohne auf den Bildschirm zu sehen, verfolgte er das Lichtspiel der Scheinwerfer, die über Wände und Plattenregale glitten und das Wohnzimmer von Braun eine unwirkliche Atmosphäre verliehen.
„Stimmt, ist cool, das mit dem Licht“, ließ er sich nach einiger Zeit zu einer Bemerkung hinreißen und drehte dabei nervös die blaue Muschel, die er an einem Lederband um den Hals trug, so als wäre ihm dieser Kommentar peinlich. Dann strich er sich die kinnlangen, dunklen Haare mit einer entschlossenen Geste hinter die Ohren, einer Handbewegung, die Braun nur zu gut von sich selbst kannte. Am liebsten hätte er jetzt seinen Sohn umarmt und gesagt: „Schön, dass du hier bei mir bist!“, aber er brachte keinen Ton heraus, stattdessen ging er zum Kühlschrank, fischte zwei Bierdosen heraus, von denen er eine Jimmy entgegenhielt.
„Spinnst du!“ Angewidert starrte sein Sohn auf die mit eisigem Kondenswasser beschlagene Dose. „Mama hat gesagt, dass du ein Säufer bist! Anscheinend hat sie damit ja Recht!“
„Jetzt hab dich mal nicht so!“ Wütend öffnete Braun eine der Dosen und drückte sie Jimmy in die Hand. „Schön, dass du hier bist“, sagte er dann doch noch und klackte gegen die Dose, die sein Sohn noch immer in der Hand hielt, ohne einen Schluck zu trinken. Jimmy schnaufte hörbar, nahm dann doch einen Schluck Bier, verzog angeekelt das Gesicht. „Schmeckt echt Scheiße! Hast du keine Cola?“ Mit geneigtem Kopf schlich er an den Plattenregalen entlang, um die Covers besser lesen zu können.
„Ganz schön spießig, Braun! Du sortierst deine Platten ja nach dem Alphabet!“
„Nenn mich nicht Braun!“, fauchte Braun. „Für dich bin ich Vater oder meinetwegen auch Tony. Aber nicht Braun. Hast du das kapiert?“
Dann fasste er seinen Sohn am Arm und zog ihn die Plattenregale entlang.
„Ich sammle Schallplatten. Ich will Musik vor dem Vergessen bewahren. Je obskurer, desto besser. Da, Peter Hammill, einer meiner Lieblinge.“ Braun zog eine Platte aus dem Regal. „Schreibt die besten Songs der Welt. Aber keiner kennt ihn mehr. Ich sorge dafür, dass er im Radio gespielt wird.“
„Ach ja, Mama hat erzählt, dass du eine Radiosendung moderierst. Aber nur Internet-Radio, hört das überhaupt jemand?“ Provokant starrte Jimmy in Brauns Gesicht und schob die Hände abwartend in seine weiten Jeans.
„Das ist mir doch egal. Wenn nur zehn Leute zuhören, dann ist das okay. Ich gebe ihnen Tipps, quatsche mit ihnen und spiele Musik, die mir gefällt.“
„Ausgerechnet du gibst Lebenstipps, ausgerechnet du. Mama sagt, dass
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