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Freundinnen wie diese - Koslow, S: Freundinnen wie diese

Freundinnen wie diese - Koslow, S: Freundinnen wie diese

Titel: Freundinnen wie diese - Koslow, S: Freundinnen wie diese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sally Koslow
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›Fantasia‹.
    Als wir im vierzehnten Stockwerk aus dem Aufzug gestiegen waren, klopfte Mrs Shelbourne sanft an eine Metalltür, wie sie in jedem Bankgebäude zu finden war. Hinter der Wohnungstür knarzte der Boden. Eine Pflegerin auf dicken Gummisohlen öffnete, legte einen Zeigefinger auf den Mund und deutete mit dem Blick auf einen schattigen Raum im Hintergrund. Der Geruch von Urin   – von Mensch, Katze oder auch von beiden   – stieg mir in die Nase, wurde aber sogleich von der Mangonote eines Raumsprays überlagert. »Die Frau Doktor schläft.«
    Ich versuchte, einen Blick durch den Raum zu werfen, was gar nicht so leicht war, da wegen des hellen Sonnenlichts die altmodischen Rollläden herabgelassen waren. In einem Rollstuhl lag eine ältere Frau mit nur noch spärlichem Haar trotz all der Kissen, die ihre dürre Gestalt stützten, wie eine Stoffpuppe da. Frau Dr.   Walter sah nicht sehr lebendig aus. Mrs Shelbourne legte mir eine Hand auf den Arm. »Wir sollten uns nicht allzu lange in diesem Raum aufhalten. Das verstehen Sie sicher. Alzheimer.«
    »Aber ja   – nur allzu gut«, erwiderte ich und warf rasch einen Blick auf die hohen, stuckverzierten Decken, während sich in mir Erinnerungen an meine Mutter regten, die zwar gewissenhaft verstaut, aber noch zu frisch waren, um daranzu rühren. Ich schob sie beiseite und registrierte noch das Fischgrätenparkett, das von fein ziselierten Walnussleisten abgeschlossen wurde, sowie den flüchtigen Eindruck eines kristallenen Kronleuchters. Mrs Shelbourne nahm mich beim Arm, und wir gingen rasch weiter in eine kleine dunkle Küche mit einer Tapete, auf der Kolibris eine seit sechzig Jahren währende Siesta hielten. Das Linoleum vor der Spüle, über der sich ein von einer Jalousie verdecktes Fenster befand, war durchgetreten, und es gab einige zerkratzte Küchenschränke aus Edelstahl. Keine Spülmaschine. Der Herd war wohl schon vor meinem Geburtsjahr hergestellt worden, vermutete ich. Ich dachte an das nicht abgeschlossene Kapitel meines Buches und fluchte insgeheim wegen der vergeudeten Zeit.
    Halbherzig hob ich die zerschlissenen Jalousielamellen. »Heilige Scheiße«, sagte ich, wenn auch nur zu mir selbst. Vor mir spiegelte sich die Sonne im gewaltigen Reservoir-See im Central Park, der so nahe zu sein schien, dass ich meinte, vom Fensterbrett aus mit einem Hechtsprung hineintauchen zu können. Weit unter mir erkannte ich Baumwipfel, üppig wie gigantische Brokkoliköpfe. Der Verkehr drang nur als ein fernes Summen herauf. Dann spürte ich ein Beben. Etwa die U-Bahn , so viele Stockwerke unter uns? Nein, mein Herz.
    Mit schnellen Schritten folgte ich den beiden Maklern durch ein geräumiges Esszimmer und einen langen Korridor entlang, in dem ich sechs Wandschränke zählte. Ich spähte in ein Badezimmer, das mit einem altmodischen Mosaik jener Art gefliest war, die wiederherzustellen Innenarchitekten ihren Kunden zu astronomischen Preisen rieten. Wir gingen durch einen Ankleideraum, der eines Starlets würdig gewesen wäre, und traten in ein Schlafzimmer, in das ohne Weiteres meine ganze jetzige Mietwohnung hineingepasst hätte, und es wäre noch immer genug Platz für ein Arbeitszimmer übrig gewesen. Als Mrs Shelbourne an der Zugvorrichtung der ausgeblichenen Vorhänge zog, hätte ich schwören können, dassdas Licht zu pulsieren begann. Aus dem Augenwinkel sah ich eine schwarze Katze davonhuschen, während Horton einige Wollmäuse unters Bett kickte. Doch von beidem nahm ich kaum Notiz. Ich trat an das Fenster und geriet bei dem sich mir bietenden Ausblick gerade so ins Schwärmen wie damals, als ich zum ersten Mal in den Grand Canyon hinabblickte.
    Das silbrige Panorama, das sich dort vor mir ausbreitete, war vielleicht das bezauberndste von ganz New York. Ich schloss die Augen und begab mich auf eine Zeitreise. Frauen in roten Samtmänteln glitten in Achterfiguren über das Eis, die Hände in wärmende Hermelinmuffs gesteckt. In der von Tannengeruch geschwängerten Luft erklangen Glocken, während vor den Schneeschlitten geduldig die Pferde warteten. Ich blinzelte. Jetzt trugen die jungen Frauen Organzakleider, und ihre Porzellanteints leuchteten taufrisch unter den Sonnenschirmen hervor, die ihre kunstvolle Lockenpracht schützten. Ich spulte vorwärts bis in meine eigene Kindheit und stellte mir vor, der große spiegelblanke See dort unter mir wäre der kristallklare Bach neben der Holzhütte meiner Großeltern in den Wäldern im Norden

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