Freundinnen wie diese - Koslow, S: Freundinnen wie diese
Sonderschule.« Die Hälfte der Kinder starrte Henry mit offenem Mund an, während die anderen, und unter ihnen Dash, fröhlich mit einstimmten. Ich hätte Dash am liebsten gepackt und weggezogen, doch er war schon zu seinem Helden geflitzt und sang etwas, das für alle anderen hoffentlich so klang wie: »Leise, leise, leise, leise, kleine Meise.«
»Wir müssen uns beeilen,
Masik
.« Wann immer ich Henry bei dem Spitznamen nannte, den mein Vater ihm gegeben hatte, grinste er mich mit Grübchen in den Wangen an.
»Ich bin heute nicht
Masik
«, widersprach er, während er erfolglos versuchte, sein blaues Cape um seine schmalen Schultern zu schlingen. »Ich bin Superman.«
Eine andere Generation, eine andere Flotte fliegender Helden. Vielleicht würde dieser ja seinem Namen alle Ehre machen, doch jetzt war nicht der Moment, um das zu testen. In einer Dreiviertelstunde mussten wir in der Jackson Collegiate sein. Die Fiese Fiona hatte darauf bestanden, dass ich mir noch mal ernsthaft Gedanken über sein Erscheinungsbild mache. Als ich schließlich in einem Kindergeschäft mit Kommissionsware fündig geworden war, hatten Fiona und ich uns für einen roten Shetlandpullover und Kordhosen entschieden.
»Superman hat Superkräfte. Er braucht keinen Pullover«, sagte Henry und verschränkte die Arme vor der Brust wie sein Held aus dem Fernseher.
»Es ist November. Superman könnte Schnupfen bekommen, wenn er nicht warm genug angezogen ist.« Und ich musste mich auch selbst noch umziehen. In der Hoffnung, wir könnten beide aussehen, als würden wir vornehmen alten Kreisen entspringen, hatte ich mir etwas Gediegenes herausgelegt: einen grauen Faltenrock, eine Strickjacke, deren Mottenloch geschickt mit der gestärkten Manschette einer weißen Hemdbluse verdeckt werden konnte, ein Paar alte, aber frisch polierte flache braune Stiefel und ein Hermès-Tuch, das Chloe mir zu meinem letzten Geburtstag geschenkt hatte. Und mein Haar hatte ich so glatt gefönt, wie ich es nur hinbekam.
»Das ist ein Mädchenpullover«, schimpfte Henry, ging an seine Kommode und zog ein Sweatshirt in schreiendem Orange heraus; die obere Hälfte seines Halloween-Kostüms. »Superman hat seine Meinung geändert.«
»Henry, nein!«, rief ich. »Das heute ist sehr wichtig für uns.«
Er runzelte die Stirn. »Okay, Mommy. Dann mach die Augen zu, bis ich ›jetzt‹ sage.« Ich hörte das Getrappel kleiner Füße, das Schließen einer Tür und dann »jetzt«.
Als ich die Augen wieder öffnete, stand ein lachender Henry vor mir, in orangem Sweatshirt und abgewetzter schwarzer Lederjacke, deren Ärmel um einige Zentimeter zu lang waren. Er sah aus wie ein kleiner Keith Richards. »Zieh das bitte aus.« Ich sah auf die Uhr.
Jetzt schaltete er auf Gejammer um. »Aber du hast doch gesagt, es ist sehr wichtig.«
Vielleicht waren die Gutachter an der Jackson Collegiate ja weichherzige Anwälte der Kinder und keine Modetyrannen und würden das Selbstvertrauen meines Sohns bewundern. »Dann zieh wenigstens die Hose an«, seufzte ich und hielt ihm die braune Kordhose hin, half ihm hinein und machte sie zu. Ich gab ihm seine Sneakers und suchte das Zimmer erfolglos nach seiner Bürste ab; nicht, dass es einen Unterschied gemacht hätte. Henry ist mit meinem Haar gesegnet, das ihm immer wie Fussili vom Kopf absteht. Im Affenmutter-Modus fuhr ich ihm mit der Hand durch die Locken, trat einen Schritt zurück und bewunderte meinen Kleinen.
»Hübsch«, sagte ich und küsste ihn auf die Stirn. »Jetzt setz dich bitte hin und spiel, während ich mich anziehe.« Ich musste mir das Halstuch dreimal binden, bis ich endlich nicht mehr aussah wie meine eigene Großmutter – und dann waren wir auch schon auf dem Weg. Ich fühlte mich wie frisch Greenwich Village entsprungen.
Viele unserer Nachbarn hatten ihre Halloween-Dekorationennoch nicht abgenommen, und während wir die lange Reihe von Brownstone-Häusern Richtung U-Bahn entlangrasten, zeigte Henry auf alle Fratzen, Geister und Plastikspinnennetze, damit ich auch ja nichts verpasste.
»Unsere Straße ist toll«, sagte er. Das fand ich auch. Ich war froh, dass wir hier wohnten, auch wenn wir nicht viel Platz hatten. Auf den ersten Blick wirkte Park Slope vielleicht wie die Upper West Side in Manhattan, doch das hier war noch eine echte Gemeinschaft. Die Kinder fuhren an Halloween nicht mit Aufzügen auf und ab, sondern gingen von Tür zu Tür, wo die Leute ihre Namen kannten. Und fast jeden Samstag, außer im
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