Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Frevel im Beinhaus

Frevel im Beinhaus

Titel: Frevel im Beinhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Schier
Vom Netzwerk:
Mausoleen vorbei, in denen reiche römische Bürger oder verdienstreiche Soldaten beigesetzt worden waren. Es war wie ein Tempel erbaut, mit verzierten Säulen und einer verwitterten lateinischen Inschrift auf einer mannshohen Sandsteinplatte an der Vorderseite. Das Grabmal war ein riesiger Bau, fast zehn Schritt lang und sieben breit. Wer immer hier seine letzte Ruhe gefunden haben mochte, er musste ein hochangesehener und sehr reicher Bürger gewesen sein. Mit einigem Erstaunen bemerkte Adelina, dass die verzierte Eisentür auf der Rückseite, die normalerweise fest verschlossen hätte sein sollen, einen Spalt weit offen stand. Wieder schauderte Adelina, diesmal heftiger. Hatte jemand es gewagt, die Ruhe der Toten, auch wenn es Heiden gewesen waren, zu stören und in das Grabmal einzudringen? Grabräuber vielleicht oder – Gott bewahre! – jene Männer, die die Knochen aus dem Beinhaus in der Rheingasse gestohlen hatten? Bei diesem Gedanken schlug Adelinas Herz schneller, nicht nur vor Furcht, sondern auch, weil ihr klar wurde, dass sich ihr in diesem Fall eine unschätzbare Möglichkeit böte, die Täter zu überführen.
    Andererseits konnte es auch sein, dass sich hier weiteres Gesindel oder Bettler eingenistet hatten. Wahrscheinlich gehörte das Pferd demjenigen, der in das Grab eingedrungen war. Ihr Herz pochte immer heftiger, als Adelina sich langsam und äußerst vorsichtig der Tür näherte. Sie lauschte, hörte aber zunächst nichts als das Gezwitscher der Vögel, die ihr Morgenlied anstimmten. Adelina linste durch den winzigen Türspalt, konnte aber nichts erkennen außer einem kleinen Öllicht, das auf dem Boden stand. Also befand sich tatsächlich jemand dort drinnen. Was sollte sie also tun? Alarm schlagen? Aber wo? Bis jemand hier auf sieaufmerksam wurde, hätte sich der Eindringling längst aus dem Staub gemacht oder – schlimmer noch – sie überwältigt. Also zog sie sich hinter ein dichtes Gebüsch zurück und wartete. Irgendwann musste der Mann ja schließlich das Mausoleum wieder verlassen. Dann würde sie sehen, wer es war.
    Sie verharrte eine geraume Weile gebückt hinter dem Strauch. Schließlich ließ sie sich auf die Knie nieder, um ihren schmerzenden Rücken zu entlasten. Die Morgendämmerung ließ die Konturen ringsum immer deutlicher hervortreten; der Himmel verfärbte sich von Dunkelblau in ein helleres Blaugrau, und im Osten zeigte sich bereits ein dünner rötlicher Streifen. Eine Fliege surrte um Adelinas Kopf. Gerade als sie nach ihr schlagen wollte, nahm sie beim Grabmal eine Bewegung wahr. Sie hielt die Luft an und blickte hinüber zu der Gestalt, die ihr den Rücken zuwandte und sich offenbar gerade an einem Baumstamm erleichterte. Dann wandte sich der Mann um und ging mit ausholenden Schritten in Richtung der Baumgruppe, an der das Pferd wartete. Über der Schulter trug er ein unförmiges Bündel. Schließlich kam er an dem Busch vorbei, hinter dem Adelina atemlos kauerte. Als sie ihn und sein weißes Dominikanerhabit erkannte, hätte sie beinahe laut aufgeschrien und sich damit verraten.

27
    Kaum waren die Schritte des Pferdes verklungen, richtete Adelina sich auf und blickte sich vorsichtig um. Noch immer hatte sie das Gefühl, vor Schreck wie benommen zu sein. Sie eilte zu dem Mausoleum, dessen Tür nun mit einem runden Holzklotz verschlossen war. Da vermutlich selten jemand hier vorbeikam, genügte dies wohl, um zu verhindern, dass die Tür vom Wind aufgeweht wurde.
    Entschlossen rückte Adelina den Klotz beiseite und zog die Eisentür auf. Zögernd blickte sie in das dunkle Mausoleum, dann bekreuzigte sie sich dreimal und trat ein. Viel war nicht zu erkennen, dazu reichte das spärliche Licht des anbrechenden Tages nicht. An der hinteren Wand standen zwei steinerne Sarkophage; beide schienen vollkommen unberührt zu sein. Im Geiste bat Adelina die Toten um Vergebung für ihr Eindringen. Unter anderen Umständen hätte niemand sie dazu bewegen können, eine heidnische Grabstätte zu betreten, doch jetzt war sie schon so weit gegangen, dass sie keine andere Möglichkeit mehr sah.
    Sie stieß die Tür, die halb zugefallen war, wieder ganz auf und klemmte einen Ast darunter, damit sie offen blieb. Wenn sie nur etwas mehr Licht hätte! Doch inzwischen wurde es draußen immer heller, sodass sie nach einer Weile auch in der Grabkammer mehr sehen konnte.
    Zunächst hatte sie gedacht, dass es keinerlei Hinweise auf Eindringlinge gäbe, doch nun sah sie am Boden die Reste eines

Weitere Kostenlose Bücher