Frevel im Beinhaus
Kreidekreises, der offenbar notdürftig verwischt worden war. Als sie den Kopf hob, erstarrte sie vor Schreck und bekreuzigte sich erneut. Ein tonloses Gebet auf den Lippen, wich sie Schritt um Schritt zurück, konnte ihrenBlick jedoch nicht von der Zeichnung an der Wand abwenden.
Ein auf dem Kopf stehendes Kreuz prangte dort, umgeben von alchemistischen Zeichen und Symbolen, die sie an die Bilder in jenem Büchlein erinnerten, das Griet aus dem Wandversteck im Keller geholt hatte.
Die Gedanken begannen sich in ihrem Kopf zu drehen. Was hatte das alles zu bedeuten? Verwirrt versuchte sie, ihre Entdeckung mit dem Mann in Verbindung zu bringen, den sie soeben hatte fortgehen sehen. Was tat er hier? Hatte er diesen Ort zufällig gefunden, oder nutzte er ihn selbst für Beschwörungen? Aber wozu? Tat er es wirklich, wie sie vermutet hatten, um die bösen Geister zu bitten, ihm beim Goldherstellen zu helfen?
Sie rieb sich fassungslos über die Stirn. Der Erzbischof hatte ihn zum Inquisitor ernannt, damit er Neklas’ Schuld bewies. Wollte er damit von sich ablenken? Es musste so sein, etwas anderes konnte Adelina sich kaum vorstellen. Aber wer würde ihr glauben, wenn sie keine Beweise hatte? Hier in der Grabkammer gab es außer den Beschwörungsformeln an der Wand keinerlei Hinweise auf ein Laboratorium oder irgendwelche Hinterlassenschaften, die auf den wahren Täter hindeuteten. Vermutlich hatte er alle Utensilien in dem Bündel verpackt, das er bei sich getragen hatte.
Wohin war er geritten? Gab es in der Nähe ein Laboratorium, oder hatte er es in einem der Häuser des Erzbischofs eingerichtet? Doch weshalb kam er für die Beschwörungen ausgerechnet hierher? Mussten sie nicht dort ausgeführt werden, wo auch die Goldherstellung stattfinden sollte?
«Offenbar wurdet Ihr mir vollkommen richtig beschrieben», erklang hinter ihr eine dunkle Männerstimme. «Ihr seid ein unerträglich neugieriges Weib. Heute allerdings kommt Ihr mir wie gerufen.»
Adelinas Herz blieb beinahe stehen. Langsam drehte sie sich zum Eingang der Grabkammer um. Eine imposante Gestalt trat ein, die den Türrahmen so weit ausfüllte, dass kaum noch Helligkeit hereinfiel.
Sie schluckte und starrte in ein Paar dunkler Augen, die im Licht einer kleinen Öllampe boshaft blitzten. Sie wollte etwas sagen, doch im ersten Moment versagte ihre Stimme. «Vater Emilianus», kam es schließlich über ihre Lippen.
***
Einen langen Moment herrschte Stille, dann verzog der Geistliche seinen Mund zu einem süffisanten Lächeln. «Ihr habt also mein kleines Versteck gefunden. Ich muss zugeben, im ersten Moment war ich versucht, Euch den Schädel einzuschlagen. Vielleicht sollte ich Euch noch den Rat geben, auf den Zweigen, die dort draußen herumliegen, etwas vorsichtiger zu gehen. Doch was soll Euch das jetzt noch nützen, nicht wahr?»
Adelina rang nach Atem. «Was habt Ihr getan?»
«Ich?» Emilianus hob amüsiert die Brauen. «Gar nichts habe ich getan. O nein, ich bin über jeden Zweifel erhaben. Aber wie wird man mir danken, dass ich eine Sekte übelster Teufelsanbeter entdeckt und dingfest gemacht habe, Meisterin Burka. Schaut mich nicht so verblüfft an – es ist doch eindeutig: Euer Gemahl ist der Kopf der Sekte. Ihn konnten wir glücklicherweise sehr rasch einsperren. Aber seine Helfer waren lange genug auf freiem Fuß, um weiter ihr Unwesen zu treiben. Und nur Ihr, Meisterin Burka, wusstet von alldem nichts. Traurig, denn dadurch habt Ihr Euch in Gefahr begeben und seid ihnen zum Opfer gefallen.»
«Ihr seid verrückt! Das wird Euch niemand glauben.»
«Aber sicher wird man. Wenn herauskommt, dass Meister Jupp schon damals in Italien dafür gesorgt hat, dass seinFreund Burka freikam, ist es doch nur allzu einleuchtend, dass er auch jetzt alles versucht hat, ihm zu dienen.»
«Zu dienen?» Adelinas Stimme begann zu zittern. «Was soll das bedeuten?»
Emilianus’ Lächeln verbreiterte sich zu einem Grinsen. «Das dürftet selbst Ihr mit Eurem beschränkten Frauenhirn begreifen. Er wird natürlich Euch als Opfer darbringen, um die satanischen Mächte auf seine Seite zu ziehen und damit Neklas Burka aus dem Gefängnis zu befreien.»
«Das ist doch absurd!» Langsam wich Adelina ein Stück vor ihm zurück, obwohl sie wusste, dass es keinen anderen Ausweg aus dem Mausoleum gab. «Niemand wird das glauben. Die Schöffen kennen uns und sogar der Vogt …»
«O doch, Meisterin Burka. Sie werden mir glauben und vor Entsetzen die Augen gen
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