Frevel im Beinhaus
Stadtrates um eine reine Vorsichtsmaßnahme handelte, fühlte sich Adelina nicht wohl dabei. Unwillkürlich stiegen die Bilder einer anderen, längst vergangenen Hausdurchsuchung in ihr auf. Damals hatte man Münzen und Edelsteine bei ihr gefunden, die aus Bestechungsgeldern stammten und die man ihr heimlich untergeschoben hatte. Ihre Gedanken wanderten zu Ludmilla. Von ihr hatte sie nichts mehr gehört, allerdings war in der Stadt nichts darüber zu vernehmen, dass man die alteFrau verhaftet hatte. Adelina hoffte inständig, dass es ihr gutging.
«Was ist das?» Einer der Büttel, ein kleiner schmaler Mann mit für seine Körpergröße außergewöhnlich großen Händen, kam gerade die enge Kellertreppe herauf. Er hatte sich mit dem Namen Hugo bei ihr vorgestellt und sich in Adelinas Vorratsraum sowie dem kleinen Laboratorium umgesehen, das ihr Vater sich dort unten eingerichtet hatte, um seiner Leidenschaft – den alchemistischen Forschungen – nachzugehen. Inzwischen hatte Neklas sich der Apparaturen unten angenommen, denn er experimentierte gerne damit, um, wie er sagte, zu erforschen, wie man unedle Substanzen in edle umwandeln konnte. Das Geheimnis der Transmutation, auch Stein der Weisen genannt, hatte Adelina zeit ihres Lebens eine Menge Nerven gekostet. Ihr Vater war über seine Suche wunderlich geworden, später sogar sehr krank. Neklas sah sich, was giftige Dämpfe und gefährliche Substanzen anging, zwar weit mehr vor, doch argwöhnte sie, dass er – zumindest in der Vergangenheit – einige Versuche durchgeführt hatte, deren Nutzen ihr eher fragwürdig erschien. Er war ein bemerkenswerter Alchemist. Diese Tatsache und einige andere Begebenheiten hatten ihn einst beinahe auf den Scheiterhaufen gebracht.
Nun hob Adelina alarmiert den Kopf, als sie sah, dass Hugo ein teures gläsernes Behältnis in seinen Pranken hielt und es misstrauisch anstarrte.
Dann erkannte sie, um was es sich handelte, und atmete hörbar die Luft aus, die sie unbewusst angehalten hatte. Lächelnd trat sie auf den Büttel zu und nahm ihm sein Fundstück ab. «Seid bitte äußerst vorsichtig damit, guter Mann», sagte sie. «Das sind Haifischzähne.»
«Haifisch …?» Hugo starrte sie verdattert an.
«Mahlt man sie und mischt sie mit ein, zwei anderen Ingredienzien, so erhält man ein mächtiges Heilmittel»,erklärte sie in absichtlich hochfahrendem Ton, der ihm zeigen sollte, dass sie wusste, wovon sie sprach. «Man kann sie allerdings auch als Amulett um den Hals tragen», fügte sie leise hinzu. Letzteres hielt sie persönlich für die nützlichere Anwendungsweise, doch das musste der Büttel ja nicht wissen.
«Ihr mahlt die Zähne von Fischen und behauptet, es sei eine Arznei?» Der kleine Mann kratzte sich verwundert am Kopf.
«Nicht ich behaupte es, sondern die Ärzte – manche jedenfalls.»
«Aha.» Schaudernd trat er einen Schritt zurück und blickte sich um. «Michel», rief er nach seinem Begleiter. «Wo steckst du? Unten ist nichts zu finden.»
«Hier auch nicht.» Der Mann, der nun aus der Küche kam, war fast zwei Köpfe größer als Adelina, jedoch ebenfalls sehr dünn. «Nichts, außer das hier.» Er hielt den Eimer in der Hand, in dem Magda die Knochen und Abfälle aus der Küche sammelte. Ohne mit der Wimper zu zucken, griff er hinein und zog einen gesplitterten Knochen hervor. Moses umschwänzelte ihn aufgeregt.
Hugo verzog verärgert das Gesicht. «Na und? Ein Schweineknochen. Was wir suchen, sind Menschenknochen, und zwar welche, an denen keine Fleischreste mehr hängen.»
«Wollt ja nur zeigen, dass hier nichts Ungewöhnliches im Haus ist», brummte Michel gutmütig und warf Moses den Knochen achtlos vor die Füße, bevor Adelina protestieren konnte. Der Hund stürzte sich auf diese unerwartet leichte Beute und schleppte sie sogleich durch die Hintertür hinaus.
Den Eimer stellte Michel in die Küche zurück, aus der Adelina ein leises und offenbar erbostes Zischen ihrer Magd vernahm.
«Jetzt noch oben», befahl Hugo und blickte Adelina auffordernd an. Sie führte die beiden Männer zur Stiege und folgte ihnen ins erste Stockwerk. Sie hasste es, wenn fremde Menschen in ihren Sachen wühlten, da sie es jedoch nicht ändern konnte, wollte sie wenigstens achtgeben, dass die Büttel nicht zu viel Unordnung anrichteten.
Die beiden Männer teilten sich die Räume untereinander auf. Da Hugo Adelinas Schlafkammer betrat, folgte sie ihm zügig, blieb jedoch in der Tür stehen und behielt ihn im Auge. Am
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