Frevel im Beinhaus
des schmutzigen Endres los und blickte Neklas in die Augen. Ohne etwas zu sagen, rieb sie Daumen, Zeige- und Mittelfinger aneinander.
Neklas lächelte kurz. «Diese Sprache verstehen sie», murmelte er anerkennend.
Adelina sah sich in der kargen Zelle um. Es gab nur ein schmales und vergittertes Fenster ziemlich weit oben im Gemäuer, durch das fahles Tageslicht hereinfiel. «Neklas, wie konnte das geschehen?» Sie wandte sich ihm wieder zu und fand sich im nächsten Augenblick in seinen Armen wieder. Er zog sie fest an sich und barg sein Gesicht in ihrer Halsbeuge.
«Ich habe keine Ahnung», flüsterte er. Dann schob er sie sanft ein Stückchen von sich. «Aber ich habe nachgedacht.» Diesmal sprach er laut. «Entweder war es Zufall, dass man die tote Frau in unserer Abortgrube versteckt hat, oder …»
«Oder jemand will dir absichtlich schaden», ergänzte Adelina.
«Fragt sich nur, wer.»
«Thomasius ist Inquisitor.»
«Wie bitte?» Neklas hob ruckartig den Kopf. «Was sagst du da?»
«Er tritt als Zeuge gegen dich auf und behauptet, ein Inquisitor zu sein.»
«Ist er jetzt vollkommen übergeschnappt?»
«Der Vogt hat es bestätigt.»
Mit der freien Hand fuhr sich Neklas erregt durch die schwarzen Locken, die daraufhin wirr nach allen Seiten abstanden. «Das ist mir neu. Also steckt er dahinter?» Er ließsich auf die Matratze sinken. «Verflucht, damit hätte ich rechnen müssen.»
«Womit hättest du rechnen müssen?» Rasch ging Adelina neben ihm in die Knie und blickte forschend in sein Gesicht.
Er sah sie besorgt an. «Dass er nicht ewig schweigen würde. Du weißt, dass ich ihm damals gedroht habe.»
«Wegen Jupps erster Frau.»
Neklas machte eine unbestimmte Bewegung mit dem Kopf. «Er hat ihre Taufe verhindert – ich besitze den Beweis. Aber nun sitze ich im Gefängnis. Vielleicht glaubt er, sich auf diese Weise rächen zu können.»
«Er hat den Schöffen alles über den Prozess in Italien erzählt.» Adelina stockte und schluckte heftig. «Zumindest alles, was er weiß. Neklas, wenn er erfährt … Kann es sein, dass Jupp nun auch in Gefahr schwebt?»
Einen langen Moment dachte Neklas nach, dann schüttelte er den Kopf. «Nein, das glaube ich nicht.» Er warf Endres einen scheelen Blick zu, der jedoch vorgab zu schlafen. «Hör zu, sie haben mich bereits zweimal befragt. Ich habe ihnen lückenlos berichtet, wo ich mich in den letzten Tagen aufgehalten habe. Dafür gibt es Zeugen, vor allem meine Patienten. Vermutlich werden sie die jetzt alle nacheinander aufsuchen, um eine Bestätigung meiner Aussage zu erbitten. Das wird möglicherweise ein paar Tage dauern, aber dann werden sie mich gewiss wieder freilassen. Mach dir also keine unnötigen Sorgen. Vielleicht könntest du ja Reese bitten …»
«Reese kann uns nicht helfen», unterbrach Adelina ihn. «Der Vogt hat ihm die Befugnisse in deinem Fall entzogen.»
«Warum das denn?»
«Weil wir zu eng mit ihm bekannt sind, wie er sagt.»
Neklas runzelte die Stirn und schüttelte daraufhin den Kopf. «Also gut, dann müssen wir uns eben gedulden.» Sanftnahm er Adelinas Hand. «Die Sache wird sich aufklären, Lina. Sie können mir nichts nachweisen, was ich nicht getan habe.» Er deutete auf den Korb. «Was hast du mir denn Gutes mitgebracht?»
***
«Was bedeutet das – Inqui … dingsda?», fragte Franziska auf dem Rückweg zur Apotheke. Ein feiner Nieselregen hing in der Luft und legte sich klamm auf Gesicht und Kleider.
Adelina wandte ihr den Kopf zu. «Ein Inquisitor ist so etwas wie ein Richter. Er verfolgt Ketzer und macht ihnen den Prozess.»
«Oh.» Franziska machte große Augen. Sie war lange genug in Adelinas Haushalt beschäftigt, um einiges von Neklas’ Vergangenheit zu kennen. «Und dieser Dominikanerpfaffe ist jetzt so ein Inquisitor?»
«Es scheint so.»
«Er hat den Schöffen alles über … den Magister erzählt?»
Adelina nickte finster. «Ich war dabei.»
«Warum tut er das?» Franziska wechselte den leeren Korb von einer Hand in die andere. «Ich meine, er hat sich doch jetzt so lange nicht mehr bei uns blicken lassen. Da dachte ich …»
«Ja, das dachten wir alle.» Adelina seufzte. «Aber du hast gehört, was Magister Burka gesagt hat. Wenn die Leute des Vogtes seine Aussagen überprüft haben, müssen sie ihn freilassen, weil sie ihm nichts nachweisen können.»
«Hoffentlich bald, Herrin. Schlimm ist das, den Herrn Magister in einer Zelle besuchen zu müssen. Dass er ausgerechnet mit so einem
Weitere Kostenlose Bücher