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Frevelopfer

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Titel: Frevelopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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dachte Elínborg, sagte aber nichts. Valþór war immer der Liebling ihrer Mutter gewesen, worunter die anderen Kinder manchmal zu leiden hatten. Wenn Elínborg das Thema anschnitt, tat ihre Mutter das als Unsinn ab.
    »Meldet sich Birkir überhaupt noch bei euch?«
    »Manchmal, aber nicht oft.«
    »Hat er auch keinen Kontakt zu Teddi?«
    »Nicht mehr als zu mir.«
    »Ich weiß, dass Valþór ihn vermisst. Er sagt, er hätte nicht zu gehen brauchen.«
    »Birkir wollte gehen«, sagte Elínborg. »Ich weiß nicht, weshalb Valþór dauernd darüber redet. Alle anderen sind gut darüber hinweggekommen. Birkirs Verbindung zu uns ist gut, auch wenn wir nur selten von ihm hören. Er fühlt sich wohl. Valþór und er telefonieren manchmal, aber er erzählt mir nichts darüber. Valþór sagt mir nie etwas. Ich bekomme es allenfalls über Teddi mit.«
    »Ich weiß, dass Valþór ein Querkopf sein kann, aber …«
    »Birkir wollte einfach zu seinem Vater«, sagte Elínborg. »Dagegen war nichts zu machen. Er hat ihn ausfindig gemacht, obwohl sein Vater sich nicht um ihn gekümmert und all die Jahre nie nach ihm gefragt hat. Nicht ein einziges Mal. Und plötzlich wurde er zur wichtigsten Person in Birkirs Leben.«
    »Er ist ja schließlich sein Vater.«
    »Und wir? Was waren wir dann? Nur eine Ersatzfamilie?«
    »Junge Leute in diesem Alter wollen ihre eigenen Wege gehen. Ich kann mich gut daran erinnern, wie versessen du darauf warst, von zu Hause auszuziehen.«
    »Ja, aber das hier ist irgendwie anders. Es ist, als wären wir nie seine Eltern gewesen, als wäre er nur Gast bei uns gewesen, obwohl wir ihn nie so behandelt haben. Er hat dich Oma genannt, und Teddi und ich waren Papa und Mama. Und eines schönen Tages ist das dann alles vorbei. Ich war böse auf ihn, Teddi auch. Es war ja in Ordnung, dass er seinen Vater kennenlernen wollte, aber uns so vollkommen den Rücken zu kehren war schlimm. Das habe ich ihm gesagt, aber er hat nicht auf mich gehört. Ich weiß nicht, was da schiefgelaufen ist.«
    »Vielleicht ist ja gar nichts schiefgelaufen. Die Dinge entwickeln sich manchmal einfach so.«
    »Vielleicht haben wir nicht genug getan. Vielleicht haben wir den Kindern nicht genügend Zeit gewidmet. Auf einmal sind sie wie Fremde, vielleicht weil man sich nicht genug mit ihnen beschäftigt hat. Man bedeutet ihnen nichts. Sie lernen, allein zurechtzukommen. Lernen, dass sie einen gar nicht brauchen. Ziehen aus und sind verschwunden. Sprechen nie wieder mit einem.«
    »So sollte es auch sein«, sagte ihre Mutter. »Sie müssen sich allein zurechtfinden. Sie müssen allein zurechtkommen und dürfen nicht von anderen abhängig sein. Was glaubst du, wie es wäre, wenn du noch hier wohnen würdest? Das wäre entsetzlich. Es reicht mir, deinen Vater den ganzen Tag um mich zu haben.«
    »Weshalb habe ich dann immer Gewissensbisse, dass ich mich nicht ausreichend um sie kümmere?«
    »Meiner Meinung nach hast du deine Sache wunderbar gemacht. Zerbrich dir deswegen nicht den Kopf.«
    Die Tür zum Schlafzimmer öffnete sich, und ihr Vater tauchte auf.
    »Bist du das, meine Liebe?«, sagte er und fuhr sich mit den Fingern durch die verwuschelten Haare. »Hast du den Mörder schon geschnappt?«
    »Bitte lass das«, sagte ihre Mutter. »Sie ist doch nicht hinter Mördern her.«
    Nach dem Besuch bei ihren Eltern fuhr Elínborg noch einmal ins Büro, arbeitete den ganzen Abend und kam erst nach zehn nach Hause. Zur Freude der Kinder war Teddi nicht nur mit Hamburgern, sondern auch mit Eis zum Nachtisch nach Hause gekommen. Sie warf einen Blick in Valþórs Zimmer und fragte ihn, wie es ihm ginge. Der Fernseher lief, gleichzeitig surfte er im Internet und schien sehr beschäftigt zu sein. Aron war bei ihm, starrte auf den Fernseher und machte sich kaum die Mühe, seine Mutter zu begrüßen. Die Jungen sagten, dass Teddi noch auf einer Besprechung wäre.
    Theodóra war schon im Bett, als Elínborg in das Zimmer spähte. Am Bett brannte noch die kleine Nachttischlampe, aber Theodóra war eingeschlafen. Das Buch, das sie gelesen hatte, war ihr aus der Hand geglitten und lag offen auf dem Fußboden. Elínborg schlich auf Zehenspitzen zum Bett, um die Lampe auszuknipsen. Theodóra war sehr selbstständig. Im Gegensatz zu den Jungen brauchte man sie nie daran zu erinnern, ihr Zimmer aufzuräumen. Sie tat das jeden Tag und machte morgens sogar ihr Bett, bevor sie in die Schule ging. Sie besaß viele Bücher, die in einem großen Bücherregal

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