Frevelopfer
ein …«, sagte Elínborg und brach gedankenverloren mitten im Satz ab.
»Was?«, fragte Sigurður Óli.
»Das ist doch ein ganz neuer Aspekt an der Sache«, sagte Elínborg. »Die beiden Kumpel, Runólfur und Eðvarð, und das Mädchen aus Akranes. Was ist, wenn da tatsächlich irgendeine Verbindung besteht?«
»Was für eine?«
»Das weiß ich nicht. Könnte es sein, dass Runólfur etwas über Eðvarð gewusst hat, wofür er büßen musste? Dass Eðvarð ihn loswerden musste? Könnte es sein, dass das Rohypnol, das wir bei Runólfur gefunden haben, in Wirklichkeit Eðvarð gehörte und dass Runólfur es ihm abgenommen hat? Dass er es gar nicht verwenden wollte?«
»Dann wäre also auch in der Nacht, als man ihm die Kehle durchgeschnitten hat, gar keine Frau bei ihm gewesen?«
»Was ist, wenn es eine Abrechnung zwischen den beiden war?«
»Zwischen Runólfur und Eðvarð?«
»Was ist, wenn Runólfur damit gedroht hat, Eðvarð zu verpfeifen, wenn er Eðvarð erpresst hat? Kann es sein, dass Runólfur irgendetwas Nachteiliges über Eðvarð herausgefunden hat und ihm damit gedroht hat auszupacken?«
»Eðvarð kann uns natürlich die Hucke volllügen«, sagte Sigurður Óli. »Er weiß, dass das Rohypnol bei Runólfur gefunden wurde, das stand ja schließlich in den Zeitungen. Da ist es kein Problem zu sagen, dass er es für Runólfur beschafft hat.«
»Und dabei hast du ihm ja auch ein wenig Hilfestellung geleistet«, konnte Elínborg sich nicht verkneifen zu sagen.
»Nein. Wie gesagt, er hatte sich diese Aussage schon lange zurechtgelegt, bevor wir zu ihm kamen. Sollen wir ihn holen lassen?«
»Nein, nicht gleich«, sagte Elínborg. »Das müssen wir besser vorbereiten. Wir müssen uns Valur noch einmal vorknöpfen. Und ich will mir erst die alten Akten über das Mädchen in Akranes genauer ansehen. Anschließend reden wir mit ihm.«
Elínborg beschaffte sich die Polizeiakten über das Verschwinden von Lilja und entnahm ihnen, dass Eðvarð naturwissenschaftliche Fächer an der Gesamtschule in Akranes unterrichtet hatte. Seiner lapidaren Aussage war nichts zu entnehmen. Er hatte behauptet, nichts über Liljas Unternehmungen an diesem Freitag zu wissen, an dem sie verschwand. Er konnte sich gut an sie als Schülerin erinnern, hatte sie im voraufgegangenen Winter unterrichtet und sie für keine herausragende Schülerin gehalten, aber sie war immer ruhig und angenehm im Unterricht gewesen. Er selbst hatte am frühen Freitagnachmittag Unterrichtsschluss gehabt und war nach Reykjavík gefahren, wo er lebte.
Das war alles.
Siebzehn
Die Suche nach dem Mann, den Petrína dabei beobachtet hatte, wie er zum Haus Nummer 18 gehetzt war, hatte wenig Erfolg gezeitigt. Petrína konnte ja nun auch nicht gerade als zuverlässige Zeugin gelten, und ihre Beschreibung des Mannes war sehr vage. Elínborg setzte sich wegen des geschienten Beins mit einer Orthopädin in Verbindung. Das, was der Mann am Bein trug, konnte auf einen normalen Beinbruch zurückzuführen sein, aber möglicherweise steckte auch etwas anderes dahinter.
Die Orthopädin hieß Hildigunnur. Sie war um die vierzig, blond und energiegeladen, eine wandelnde Reklame für eine gesunde Lebensweise. Elínborg hatte ihr bereits am Telefon in groben Zügen dargelegt, um was es ging, und die Spezialistin hatte großes Interesse an Elínborgs Recherche gezeigt.
»Und nach was für einer Orthese suchst du genau?«, fragte Hildigunnur, als sie sich gesetzt hatten.
»Das wissen wir eben nicht«, antwortete Elínborg. »Die Beschreibung ist sehr unpräzise, und die Zeugenaussage lässt leider ebenfalls ziemlich zu wünschen übrig, um die Wahrheit zu sagen.«
»Aber die Zeugin hat möglicherweise Metallschienen gesehen, nicht wahr?«
»Sie hat von irgendeiner Antenne geredet, und mir sind da gleich irgendwelche Schienen eingefallen, möglicherweise aus Metall, die um das Bein geschnallt waren. Der Mann trug eine Trainingshose, wahrscheinlich mit offenen Reißverschlüssen an den Hosenbeinen, die um die Unterschenkel flatterten.«
»Trug er orthopädische Schuhe? Hat er so gehumpelt?«
»Es könnte sein, aber wir wissen es nicht.«
»Wenn diese Person behindert ist, fällt mir als Erstes ein Klumpfuß ein. In einem solchen Fall werden spezielle Schuhbefestigungen verwendet. Ansonsten käme auch eine degenerative Krankheit infrage, vielleicht sogar Muskelschwund. Möglicherweise hat er sich aber auch einer Operation unterziehen müssen, also
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